Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
Rechtslage.
In Deutschland erlaubt ist die passive Sterbehilfe . Hier verzichten die Ärzte wegen der Schwere des Falles
auf lebensverlängernde Maßnahmen, stellen zum Beispiel die künstliche Ernährung ein oder schalten lebenserhaltende Apparate ab. Zulässig ist diese Form der Sterbehilfe nur, wenn sie dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.
Ebenfalls in Deutschland erlaubt ist die indirekte Sterbehilfe. Darunter versteht man die optimale und fachgerechte Behandlung von Schmerzen unter Inkaufnahme eines früher eintretenden Todes. In dieser Situation sind bereits alle lebensverlängernden Maßnahmen eingestellt worden und der Patient bekommt zum Beispiel ein hoch dosiertes Morphiumpräparat, das die Atemtätigkeit beeinträchtigt und somit zu einem schnelleren Tod führen kann. Auch hier ist das Einverständnis des Patienten unbedingte Voraussetzung.
Für meine Anruferin Hanna kamen die letzten beiden Varianten der Sterbehilfe nicht in Frage. Sie war bestens informiert. Für die passive Sterbehilfe ging es ihr noch nicht schlecht genug, auf die indirekte Sterbehilfe zu hoffen war sie nicht bereit. Hanna litt seit zehn Jahren an Krebs und war Parkinson-Patientin. Alle medizinischen Möglichkeiten hatte sie ausgeschöpft. »Ich bin voller Metastasen und mein Körper ist eine Ruine«, sagte sie zu mir. Sie erzählte von den Kämpfen, die hinter ihr lagen, von den vielen Operationen,
den für sie grauenvollen Chemotherapien, den Bestrahlungen, den immer höher dosierten Medikamenten, den Rückschlägen, den gescheiterten Hoffnungen, den furchtbaren Schmerzen, den schlaflosen Nächten und der Endgültigkeit ihrer tödlich verlaufenden Erkrankungen. Sie war austherapiert, es gab überhaupt keine Hoffnung mehr. Hanna sprach klar und schien mit sich im Reinen zu sein. Seit mehr als einem Jahr hatte sie sich mit allen Aspekten der in der Schweiz praktizierten Sterbehilfe auseinandergesetzt und war sich der Tragweite ihrer Entscheidung voll bewusst. Sie hatte sich vom Leben verabschiedet und machte einen beinahe heiteren Eindruck, was mich zunächst irritierte. Im Verlaufe des Gespräches allerdings konnte ich sie verstehen. Nachdem sie die Zusage erhalten hatte, in der Schweiz sterben zu können, war die große Angst von ihr abgefallen, noch länger und vielleicht noch schlimmer leiden zu müssen und völlig abhängig von anderen Menschen zu werden. Dann fiel der Satz, den fast alle, die zu dieser Thematik anrufen, in ähnlicher Form sagen: »Ich will in Würde sterben und ich will selbst entscheiden, wann es genug ist.« Der Fall war für mich so eindeutig, dass ich nicht den geringsten Versuch unternahm, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Das ist nicht die Regel, wenn ich mit Sterbewilligen spreche; denn viele Schwerkranke sind durchaus erreichbar und oft gelingt es im Gespräch, doch noch Perspektiven zu erarbeiten.
Hannas Perspektive war ein von ihr festgelegter, schmerzfreier und baldiger Tod. Wie anmaßend wäre es von mir gewesen, hätte ich ihre schwer errungene Entscheidung in Frage gestellt.
Ich muss gestehen, dass ich erst durch meine Sendung und die damit verbundene Konfrontation mit so vielen sterbewilligen Menschen angefangen habe, mich intensiv mit der Problematik der aktiven Sterbehilfe auseinanderzusetzen. Was schon etwas verwunderlich ist, hatte ich doch in den Jahren zuvor das Thema Tod immer und immer wieder von so vielen Seiten beleuchtet. Meine Meinung zur aktiven Sterbehilfe kristallisierte sich aber sehr schnell heraus. Mein Standpunkt heute ist eindeutig, ohne Wenn und Aber. Ich bin Befürworter sowohl der aktiven Sterbehilfe, als auch der Beihilfe zur Selbsttötung bzw. des begleiteten Freitodes . Dabei beziehe ich mich auf Artikel 1 unseres Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Dieser Artikel ist von außerordentlicher Bedeutung, er schützt meine Person von der Geburt bis zum Tod. Das heißt, meiner Auffassung nach, ich habe ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben – und eben auch ein Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Und zwar selbstbestimmt. Ich möchte schlichtweg die letzte große Freiheit haben, als Schwerkranker aus dem Leben scheiden zu können, wann ich es für richtig halte. Und ich will in dieser
Situation nicht gezwungen sein, mir die Pulsadern aufzuschneiden oder aus dem Fenster zu springen. Ebenso darf niemand kriminalisiert werden, der mir in tiefer Mitmenschlichkeit den tödlichen Trunk reicht
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