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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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mich
meine Sendung moderieren, rede über alles Mögliche und Unmögliche, und dabei sitzt mir die Angst im Nacken, genau in dieser Stunde könnte etwas Schlimmes passieren. Mein eingeschaltetes Mobiltelefon lag während der Sendung immer in unserer Senderegie und ich hatte meine Mitarbeiter gebeten, Anrufe unbedingt entgegenzunehmen und mich im Notfall zu informieren. Ich war fest entschlossen, die Sendung dann abzubrechen, und ich bin sicher, das Publikum hätte es mir nicht verübelt.
    Irreal erscheint mir auch das erste Gespräch, das ich mit einem Arzt über meinen Vater geführt habe. Die Schreckensdiagnose lag seit gerade zwei Tagen vor, und mein Vater hatte mich gebeten, mit dem Arzt zu reden. Ich saß, immer noch geschockt von der furchtbaren Nachricht, vor dem viel zu großen Schreibtisch des Arztes und kam kaum dazu, etwas zu sagen oder zu fragen. Er textete mich mit seinem Medizinkauderwelsch zu, blickte mir dabei fast gar nicht in die Augen und spielte ständig an einem teuer aussehenden Kugelschreiber herum. An der Wand hinter ihm hing ein kleiner Bilderrahmen mit einem albernen Spruch, den ich bis heute nicht vergessen habe: Der Doktor kann wohl ein Narr sein, aber ein Narr kein Doktor. Unterbrach ich diesen vor mir sitzenden Doktor mit der Bitte, etwas verständlicher zu sprechen, schaute er mich ein paar Sekunden irritiert an und quasselte dann genauso weiter wie vorher. Ich konnte mich nicht zur
Wehr setzen, da ich die schwere Erkrankung meines Vaters zu diesem Zeitpunkt noch nicht realisiert hatte. Das änderte sich allerdings entscheidend beim nächsten Arztgespräch. Ich ließ nicht locker, bis alle Fragen geklärt waren.
     
    Ich habe im Laufe meines Lebens, und besonders während der Erkrankungszeit meines Vaters, so viele Ärzte kennen gelernt, die nicht in der Lage sind, einen medizinischen Sachverhalt allgemeinverständlich zu erklären. Mich macht das ungeheuer wütend, denn ich sehe dahinter Arroganz und Faulheit. Jeder Patient hat meines Erachtens das Recht, eindeutig und klar über seine Krankheit und seinen Gesundheitszustand von einem Arzt aufgeklärt zu werden. Und das in Ruhe und ohne Zeitdruck.
     
    Als gänzlich unwirklich habe ich den Sterbetag meines Vaters in Erinnerung, ebenso seine Beerdigung. Der 26. August 2006 war ein grau-schwüler Tag. Ein Samstag. Der Todeskampf hatte schon am Mittwoch begonnen. Meine Mutter und ich saßen an seinem Bett. Niemand konnte sagen, wie lange es noch dauern würde. Er atmete schwer. Die Augen waren meist fest geschlossen. Ab und zu nur blinzelte er ein wenig. »Kannst du mich hören?«, fragte ich. Ein angedeutetes Kopfnicken. »Hast du Schmerzen?« Ein angedeutetes Kopfschütteln. Ich dachte darüber nach, was er
jetzt wohl denken mochte. Denkt er, jetzt sterbe ich? Was empfindet man, wenn man denkt, jetzt sterbe ich? Meine Mutter ist sehr tapfer. Sie befeuchtet alle paar Minuten die trockenen Lippen meines Vaters. Wir sprechen fast nichts. Stille im Dr. Mildred Scheel Haus . Um etwas durchzuatmen, gehe ich ab und zu auf die kleine Terrasse vor dem Krankenzimmer. Ein paar Sommerblumen blühen am Rande der Steinplatten. Stirbt im Nebenzimmer auch gerade jemand? Das ist jetzt genau die Zeit, vor der ich so große Angst hatte. Meine Mutter macht uns einen Tee, das kann man in jedem Zimmer hier. Er atmet immer schwerer, auf seiner Stirn steht Schweiß. Schon seit Tagen hat er nicht mehr gesprochen. Ein Arzt kommt herein und ich sage, er hat es so schwer. Der Arzt, den ich sehr mag, sagt, ja, er hat es sehr schwer. Sterbende Menschen sind äußerst geräuschempfindlich. Deshalb gehe ich auf die Gäste-Toilette der Station, nicht ins Badezimmer, das zum Krankenraum gehört. Ich möchte nicht, dass mein Vater während des Sterbens eine Klospülung hören muss. Ich wasche mir die Hände in der Gäste-Toilette, schaue in den Spiegel, erkenne mich kaum, ich bin so angespannt wie noch nie in meinem Leben. Ich bewundere die Kraft meiner Mutter, und gleichzeitig tut sie mir so leid. Vierundsiebzig ist sie nun auch schon. Ich ertappe mich dabei, dass ich denke: Gott, lass ihn sterben. Er will es doch. Warum diese Tortur? Ginge es mir besser, wenn ich
beten könnte? Betet mein Vater vielleicht gerade? Die Sonne bricht durch die Wolken und taucht das Sterbezimmer in ein sonderbares Licht. Meine Mutter geht zur Toilette und ich bin allein mit meinem Vater im Raum. In das Atemgeräusch mengt sich ein leises Rasseln. Das ist der Tod, das weiß ich von den

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