Intimer Betrug
sich nur ein Weilchen im Musikzimmer ausruhen«, schlug ervor und wirkte dabei so unbehaglich, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. »Vielleicht wäre eine Tasse Tee …«
»Nein, Carver. Eine Tasse Tee hilft da nicht. Nur der Kopf des Herzogs auf einem Silbertablett.«
»J… jawohl, Euer Gnaden«, stammelte er und wich schneller zurück, als Grace es ihm je zugetraut hätte.
Sie setzte sich noch einen Moment. Ihre Füße waren geschwollen, ihr Rücken schmerzte und wenn sie sich vorwärtsbewegte, ging sie nicht, sondern watschelte. Jedes Mal, wenn sie an dem riesigen, in Gold bossierten Spiegel an der Wand in der Eingangshalle vorbeikam, stellte sie fest, dass sie die dickste werdende Mutter in ganz England war. Dabei hatte sie immer noch mindestens drei, vielleicht sogar vier Wochen bis zur Geburt.
Wusste er, was er ihr antat?
Sein verändertes Verhalten in letzter Zeit trieb sie noch in den Wahnsinn. Es hatte angefangen, nachdem Caroline mit ihrer Tochter niedergekommen war.
Vor jener Nacht hatte sie in seinem Gesicht Sorge gesehen. Sie daran erkannt, wie er sie beobachtet und im Arm gehalten hatte. Sie wusste, dass ihre Schwangerschaft ihn beunruhigte. Doch jetzt ließ er sich nichts mehr anmerken. Er versteckte seine Gefühle, als hätte er sich davon überzeugt, dass seine Angst nicht existierte.
Dieses neue Vorgehen jagte ihr viel mehr Angst ein. Es war, als hätte er einen Weg gefunden, sich von seinen Befürchtungen zu distanzieren – und damit auch von ihr. Seine bevorzugte Methode bestand darin, sich in seiner Arbeit zu vergraben. Und darin, den Mann zu finden, der ihnen nach dem Leben trachtete.
Er war wie besessen. Besessen von allem, was nötig war, um den Schutzwall um sein Herz weiterhin zu sichern. Nun, das würde sie ihm nicht mehr durchgehen lassen. Nicht nach dem, was sie heute erfahren hatte.
Sie hievte sich vom Stuhl hoch und machte zwei Schritte, um ihre Wanderung wieder aufzunehmen, blieb jedoch abrupt stehen. Die Haustür öffnete sich und sie drehte sich um.
Vincent riss sich beim Eintreten den Hut vom Kopf und blickte auf. Ein Stirnrunzeln verdüsterte sein Gesicht, als sein Blick auf den Stuhl mitten in der Halle und dann auf Grace fiel.
»Grace?«
Sein Blick wurde fragender, als der für den Stuhl zuständige Diener fast fluchtartig die Eingangshalle verließ. Verdutzt sah er Carver an, der wortlos nach dem Hut, den Handschuhen und dem Stock seines Herrn griff und in stummer Warnung den Blick gen Himmel hob.
Am liebsten hätte Grace ihr Missfallen herausgeschrien, doch sie beherrschte sich. Sie wollte ihre Wut auf Vincent an niemand anderen vergeuden.
Sie wartete, die Hände in die Hüften gestemmt.
Auch er wartete, als wäre ihm überhaupt nicht bewusst, warum sie aufgebracht sein könnte. Als könnte er sich nicht vorstellen, was sie so verärgert hatte. Er wollte etwas sagen, schloss den Mund dann wieder, als würde ihm Schweigen als die beste Strategie erscheinen.
Sein Schweigen brachte sie nur noch mehr in Rage. Sie suchte Streit und seine Ausweichstrategie machte es nicht besser.
Wie konnte er es wagen!
»Hattest du einen angenehmen Tag?«, fragte sie kühl und sprach die Worte überdeutlich aus.
Er zögerte kurz, bevor er antwortete, als versuchte er zu entscheiden, welche Antwort am besten dazu geeignet sei, sie zu beschwichtigen. Sie hoffte, ihm war klar, dass das keine Rolle spielte.
»Ich hatte schon schlechtere.«
»Wie hast du den heutigen Tag verbracht?«
»Ich musste Geschäften nachgehen.«
»Ach ja? Was für Geschäften?«
Er zog die Augenbrauen hoch, als überlegte er, ob es klug wäre, ihr zu sagen, dass sie eine Grenze überschritten hatte, indem sie ihn nach Angelegenheiten fragte, die sie nichts angingen.»Privatangelegenheiten. Ein Gespräch über den Betrieb des Landgutes mit Mr. James.«
»Wie merkwürdig. Während du weg warst, war Mr. James nämlich hier und hat nach dir gefragt. Er hatte die Papiere dabei, nach denen du verlangt hattest. Ich habe sie dir auf den Schreibtisch gelegt.«
»Danke.«
»Und später ist eine Nachricht von deinem Anwalt gekommen. Er wollte sich vergewissern, dass du die Nachricht erhalten hast, ihn mit dem Marquess of Wedgewood und dem Viscount Carmody aufzusuchen, damit sie die Papiere unterzeichnen. Damit die Unterschriften beglaubigt werden können, sodass der ganze Vorgang unanfechtbar ist.«
»Es tut mir leid, dass ich nicht da war, um die Botschaften persönlich entgegenzunehmen.«
»Dessen bin ich
Weitere Kostenlose Bücher