Intimer Betrug
für ihn gewesen war, doch wenn seine Wut verrauchte, würde er sicher einsehen, dass sie nicht heiraten konnte, sondern ohne Mann viel zufriedener wäre. Er würde sicher einsehen, dass ihr Zuhause, Warren Abbey, eine Herrin brauchte, die dem Haushalt vorstand. Dass er sie im hohen Alter als Trost und Unterstützung bräuchte. Er würde sie sicher hierbleiben lassen.
Ganz bestimmt.
Als es leise an der Tür klopfte, hob Grace den Kopf und atmete tief durch.
»Ihr Vater will Sie im Arbeitszimmer sprechen, Mylady.«
Grace sah den ernsten Gesichtsausdruck des Dienstmädchens und unterdrückte einen Schauder. »Danke, Esther.«
»Baron Fentington ist bei ihm.«
Grace wappnete sich und schritt mit derselben Benommenheit aus der Tür, wie ein zum Tode Verurteilter den Weg zum Galgen zurücklegte. Sie straffte die Schultern und nahm jede Stufe mit resoluter Entschlossenheit. Sie würde nicht klein beigeben. Sie würde sich von ihm nicht zu einer Heirat zwingen lassen. Nicht mit Fentington. Nicht mit einem so verderbten Mann.
Beim Durchqueren der gefliesten Eingangshalle verspürte sie ein plötzliches Gefühl der Selbstsicherheit, obwohl ihr Magen rebellierte, als drängten hundert wirbelnde Strudel in entgegengesetzte Richtungen. Zitternd streckte sie die Hand aus und öffnete die Tür.
Ihr Vater, der Earl of Portsmont, stand hinter seinem Schreibtisch und wartete auf sie. Aus seinen glasigen Augen sprach eine solche Wut, dass sie sich zum ersten Mal im Leben wirklich vor ihm fürchtete. Baron Fentington stand mit dem Rücken zu ihr am Kamin.
»Papa. Lord Fentingon.«
Keiner von beiden reagierte. Ihr Vater schwieg, als erlaube ihm seine Wut nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Fentington weigerte sich, ihre Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, als wäre es so verwerflich, sich umzudrehen und sie zu begrüßen, dass er sich die Zunge nicht mit einer derartigen Blasphemie beschmutzen wollte.
»Komm her«, verlangte ihr Vater und trat hinter seinem dunklen Eichenschreibtisch hervor. So wütend hatte sie ihn noch nie erlebt, so kurz davor, zum Mörder zu werden. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, als hielte er sich bereit, auf etwas – oder jemanden – einzuschlagen. In seinem Gesicht zuckte ein Muskel und sein Unterkiefer war so angespannt, dass er mit zusammengebissenen Zähnen sprach.
»Sag es ihm. Sag Baron Fentington, dass du gelogen hast. Sag ihm, dass du noch Jungfrau bist.«
Grace hielt dem intensiven, prüfenden Blick ihres Vaters nur kurz stand, bevor sie den Blick zu Boden senkte.
»Sag es ihm!«, schrie er und trat um die Ecke seines Schreibtischs herum. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie grob.
»Das kann ich nicht.«
Am Hals ihres Vaters trat eine Ader hervor und für einen kurzen Augenblick tat er Grace leid. Es war allerdings ohnehin nicht so, dass sie ihm übermäßig zugetan war, genauso wenigwie er ihr oder irgendeiner seiner anderen Töchter. Sie waren ausnahmslos eine Enttäuschung für ihn. Sieben Töchter und kein einziger Sohn. Doch da sie als Einzige übrig war, richtete sich nun alle Enttäuschung und Verachtung auf sie.
Fentington wirbelte herum und zeigte mit einem langen Finger anklagend auf sie. »Sehen Sie! Ich habe es Ihnen ja gesagt, Portsmont. Ich habe Ihnen gesagt, dass Ihre Tochter eine Isebel ist. Eine Dirne. Eine Hure!«
Bevor sie sich schützen konnte, holte ihr Vater aus und schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht.
Sie strauchelte und schrie vor Schmerz auf, als sie mit der Hüfte gegen die spitze Schreibtischecke stieß. Vom Schmerz benommen, klammerte sie sich an die Tischplatte, war jedoch dankbar, dass sie sich auf den Beinen gehalten hatte.
Es war das erste Mal, seit sie denken konnte, dass ihr Vater eine seiner Töchter geschlagen hatte.
Ob es der Schock über den Schlag war oder über die entfesselte Wut hinter seinem Angriff, sie wusste nun, dass sich zwischen ihnen ein Abgrund aufgetan hatte, der sich nie mehr würde überbrücken lassen.
»Komm her«, schrie er, packte sie am Arm und zerrte sie mit einem Ruck zu sich. »Ist dir klar, was du angerichtet hast? Du hast alles zunichte gemacht!«
Grace hielt sich die brennende Wange und starrte ihren Vater entgeistert an. Er stieß sie weg und trat zu Baron Fentington. Das Gesicht des Barons war fromm gen Himmel gerichtet und er bewegte die Lippen, als spräche er ein stummes Gebet.
Ihr Vater griff nach ein paar Papieren auf seinem Schreibtisch und hielt sie ihm hin. »Es ist noch nicht zu
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