Intimer Betrug
etwas so Kaltes und Herzloses sagte, starrte er sie an.
»Warum?«, fragte er und fixierte sie wütend. »Warum hat sie das getan?«
»Was getan? Sich entjungfern lassen?«
»Ja.«
»Weil sie keine andere Wahl hatte.«
»Sie ist ruiniert.«
Genevieve ließ die Sofalehne wieder los. Erschöpft ließ sie die Schultern hängen. »Ja. Sie ist ruiniert.«
Ein langes, qualvolles Schweigen dehnte sich zwischen ihnen aus. Zornig fuhr er mit der Hand durch die Luft. »Warum ausgerechnet ich?«
Genevieve lächelte. »Wer wäre geeigneter gewesen, Euer Gnaden? Sie waren meine erste Wahl. Ich wusste, Sie würden behutsam mit ihr sein, und ich dachte …« Sie hielt inne. »Ich dachte, bei Ihnen bestünde das geringste Risiko einer Schwangerschaft.« Sie lächelte schief. »Vielleicht ist das noch immer der Fall.«
»Ich will ihren Namen wissen. Ich muss sie finden. Mit ihr reden.«
Genevieve sah ihm offen ins Gesicht. »Sie will aber nicht gefunden werden.«
»Dann hätte sie verdammt noch mal nicht mit mir schlafen sollen! Das sollten Sie besser als jeder andere wissen.«
Genevieve hielt seinen Blick noch einen Moment länger fest und wandte sich wieder zum Fenster. »Vielleicht haben Sie garkein Kind gezeugt. Es geschieht nicht bei jedem Mal. Schon gar nicht beim ersten.«
Vincent ballte die Fäuste. Als er sprach, presste er die Worte durch zusammengebissene Zähne. »Ich will wissen, wer sie ist. Ich muss ganz sicher gehen.«
Die berühmte Bordellbesitzerin wartete lange, als müsse sie über die Bedeutung seiner Worte nachdenken. »Ich lasse es mir durch den Kopf gehen.«
»Nein! Sie werden es mir verdammt noch mal sagen.«
»Ich lasse es mir durch den Kopf gehen. Kommen Sie in zwei Wochen wieder, falls Sie dann immer noch besorgt sind.«
»Zwei?!«
»Ja.«
»Nein! Ich gebe Ihnen eine Woche. Und keinen Tag mehr.«
Sie atmete hörbar ein. »Na schön. Eine. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich Ihnen verraten werde, wo Sie zu finden ist. Ich muss erst darüber nachdenken.«
Das Kinn in grimmiger Entschlossenheit nach vorne geschoben, sah Genevieve zu ihm auf. »Sie sind nicht der Einzige, der letzte Nacht viel riskiert hat, Raeborn. Sie sind nicht der Einzige, der aus der Sache als Verlierer hervorgehen könnte.«
Sie rauschte an ihm vorbei, eingehüllt in den sauberen Duft von Gardenien und Rosen. »Eine Woche, Euer Gnaden.
Falls
Sie dann immer noch besorgt sind.«
Vincent starrte auf die geschlossene Tür und rieb sich die Schläfen.
Und er hatte geglaubt, der gestrige Tag wäre schlimm gewesen.
Kapitel 5
D ie Wände erbebten von dem Gebrüll, das aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters drang. Grace saß mit geschlossener Tür und zugezogenen Vorhängen in ihrem Zimmer. Sie wusste, dass es nach außen hin wirkte, als verstecke sie sich, als sei sie ein Feigling, und vielleicht stimmte das sogar. Doch sie hatte schon so viele Dinge getan, die Mut erforderten, dass ihr ein Moment der Feigheit erlaubt sein sollte.
Die Stimmen wurden lauter und verstummten. Doch auch der Stille wohnte ein gewisser Schrecken inne.
Sie wartete.
Sie war fast dankbar, als die wütenden Stimmen fortfuhren. Sobald die Wut verraucht war, würden sie nach ihr schicken. Ihr Vater würde von ihr eine Zusicherung an Lord Fentington verlangen, dass ein Missverständnis vorlag. Dass sie gelogen hatte. Dass sie selbstverständlich noch Jungfrau war.
Sie schlang die Arme um ihren Bauch und wiegte sich vor und zurück, unfähig, das unregelmäßige Pochen ihres Herzschlags in der kleinen Vertiefung an ihrem Halsansatz zu ignorieren.
Sie wusste, was sie getan hatte, und bereute es nicht. Sie hatte geglaubt, der Akt an sich wäre grauenerregend, beschämend. Doch es war alles andere als das, obwohl der Mann, den Hannah ihr geschickt hatte, von eindrucksvoller Größe gewesen war. Aber was er mit ihr getan hatte, war alles andere als beschämend.
Seine finsteren Züge und seine hochgewachsene Gestalt hatten sie eingeschüchtert, bis er sie berührt hatte. Seine Berührung war behutsam gewesen, seine Stimme sanft, seine Worte beruhigend.
Und er hatte sie geküsst.
Grace berührte ihre Lippen. Sie war noch nie so geküsst worden. Sie lachte. Eigentlich war sie vorher noch nie richtig geküsst worden. Als sie sechzehn war, hatte einer von Squire MacKenzies Söhnen den Mund auf ihren gedrückt, aber geküsst hatte er sie nicht. Nicht wie der Fremde. Kein Kuss, bei dem die Beine unter ihr nachgaben und ihr das Herz bis zum
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