Intimer Betrug
zwar mit dem schmerzlichen Wissen leben müssen, dass der nächste Erbe der Raeborns nicht sein Sohn sein würde, doch er hätte es getan, weil er nicht noch eine Frau in Gefahr bringen wollte.
Doch Gott hatte es beliebt, ihm die Entscheidung abzunehmen. Vincent wusste nicht, ob er vor Freude schreien oder vor Verzweiflung weinen sollte.
In Erwartung ihrer Ankunft auf Baron Covingtons Ball griff er sich ein Glas vom Tablett eines Dieners und behielt den Treppenaufgang im Auge. Er wusste, dass der Ausdruck in ihrem Gesicht derselbe sein würde wie gestern Abend bei Lady Plumbdales Soiree oder am Abend zuvor beim Hauskonzert der Countess of Mentery. Oder am Tag zuvor, als er sie bei einer Spazierfahrt durch den Park begleitet hatte, oder am Abend davor, als sie gemeinsam die Oper besucht hatten – ein banger Ausdruck voll Nervosität. Von Schuldbewusstsein. Und mit einem Anflug von Panik.
Er sehnte den Tag herbei, an dem diese Sorgen in der Vergangenheit lägen.
Er war schon dabei, so gut es ging die Grundlagen dafür zu schaffen, und konnte bereits Erfolge verzeichnen. Die feine Gesellschaft registrierte die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, und ihre Namen wurden mit jedem Tag enger miteinander in Verbindung gebracht. Genau das war sein Anliegen. Genau so sollte es sein.
Bei der Erinnerung an ihr letztes Gespräch hätte er am liebsten laut gelacht. Die subtilen Andeutungen, die sie machte, um ihm ihre Überzeugung mitzuteilen, dass sie nicht schwanger war. Mit vor Verlegenheit roten Wangen beteuerte sie, dass sie absolut sicher sei, dass ihr Monatsfluss wieder einsetzen würde. Aber er wusste es besser.
Er wusste, dass sie sich etwas vormachte, indem sie sich einredete, es sei unmöglich, dass die Geschehnisse einer einzigen Nacht solch dauerhafte Konsequenzen haben könnten. Er hingegen wusste so sicher, dass sie schwanger war, wie er seinen eigenen Namen wusste. Und er wusste auch, dass es ihr nur unnötige Sorgen bereiten würde, wenn er ihr mehr Zeit gab, und dass es vielleicht sogar dem Kind schadete.
Er beabsichtigte nicht, ein derartiges Risiko einzugehen. So wie die Dinge lagen, käme das Kind sowieso zu früh zur Welt. Es bestand keinerlei Veranlassung, der Gesellschaft noch mehr Munition für ihre Gerüchte zu liefern, als sie ohnehin schon hätten, wenn das Kind zur Welt käme und sie zum Tag ihrer Vermählung zurückrechneten. Ein Kind, das einen Monat zu früh geboren wurde, löste zwangsläufig ein gewisses Maß an Spekulationen aus. Ein Kind, das mehr als zwei Monate zu früh geboren wurde, wurde zu einem offenkundigen Beweis.
Er hatte bereits eine Sondererlaubnis in der Tasche und würde ihr noch eine Woche geben. Wenn die Situation bis dahin nicht geklärt wäre, würden sie heiraten, ob sie nun wollte oder nicht.
Er blickte zum Treppenaufgang hinauf und sah sie. Heute Abend trug sie ein smaragdgrünes Kleid mit einem tieferen Dekolletee als sonst. Ihren langen, anmutigen Hals zierte eineschlichte, einreihige Perlenkette. Mit ihrer stolzen, geraden Haltung und einem leisen Lächeln auf den Lippen war sie ein atemberaubender Anblick.
Eine eigenartige Wärme durchströmte ihn, sammelte sich in seiner Magengrube und sank bis in seine Lenden. Er konnte das Lächeln, das seine Lippen umspielte, nicht unterdrücken, als ihr Blick den Saal absuchte und innehielt, als er seinen traf.
Sie hatte die faszinierendsten Augen, die er je gesehen hatte. Riesengroß, dunkel und vor Intelligenz und Lebendigkeit funkelnd. Ihr goldblondes Haar war auf dem Kopf locker zusammengerafft und fiel in üppigen, wallenden Locken herab. Ein paar schimmernde Löckchen umrahmten ihr Gesicht und das Strahlen ihrer rosigen Wangen machte sie zur anziehendsten Frau im Saal.
Er lächelte. Er wusste, dass sie das vehement abstreiten würde, und diese Bescheidenheit trug noch zu ihrer Attraktivität bei. Sie wusste wirklich nicht, wie schön sie war.
Vincent durchquerte den Saal, um sie gleich am Fuße der Treppe in Empfang zu nehmen. Er wusste, dass die Augen aller im Saal auf ihn gerichtet waren – und auf ihre Reaktion. Der Gedanke missfiel ihm nicht. Das gehörte zu dem Theater dazu. Zu der Farce, die die beiden aufführten, um die ganze feine Gesellschaft davon zu überzeugen, dass sie verliebt ineinander waren. Die Farce, die sie auch aufführten, um einander zu überzeugen.
Er verbeugte sich tief vor ihr und küsste ihr die Hand. »Lady Grace.«
»Euer Gnaden.«
»Lady Wedgewood. Wedgewood«, begrüßte er
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