Intimitaet und Verlangen
Sharon in seinen Kopf schaute. Er offenbarte wederseine Gefühle, noch forderte er sie auf, die ihren zu offenbaren. Er konnte sie aber nicht daran hindern zu merken, dass es ihm nicht recht war, wenn sie versuchte, sich in seine Gedanken und Gefühle zu versetzen. Sharon war klar, dass er seine Gedanken gegen sie abschirmte, auch wenn sie nicht genau wusste, weshalb er das tat. Manchmal versuchte er zu kaschieren, dass er sich verbarg. In anderen Fällen wollte er Sharon wissen lassen, dass er sie aussperrte, weil ihm klar war, dass dies sie verletzen würde.
Solche Augenblicke ergaben sich, wenn sie morgens zusammen frühstückten. Sharon versuchte dann, mit Thomas ein Gespräch zu beginnen. Er hingegen las demonstrativ Zeitung. Wenn sie ihre Bemühungen trotzdem fortsetzte, schaute er sie mit durchdringendem Blick an und brüllte schlieÃlich: »Versuchâ mir nicht ins Gehirn zu schauen! Lassâ mich in Ruhe !«
Dieser intime Augenblick zwischen zwei Menschen, die einander gut kannten, fühlte sich für Sharon schrecklich an. Thomas wollte nicht, dass sie ihn so kannte, wie er wirklich war, und er versuchte, ihr dies klarzumachen. Er wusste, dass er sie dadurch verletzen würde, und er beobachtete, wie ihr gespiegeltes Selbstempfinden daraufhin in sich zusammenfiel. In diesem Moment sah Sharon die Seite von Thomas, die sie hasste: Obwohl ihm klar war, dass sie dies verletzen würde, tat er es trotzdem. Sharon nahm ihm das übel, und es machte sie fertig. Dieses intersubjektive Erlebnis wirkte sich sehr negativ auf ihre Fähigkeit aus, ihren Alltag zu bewältigen.
Sexuelles Verlangen und Intimität sind Systeme
In Teil I haben wir festgestellt, dass sexuelles Verlangen mehr als ein Gefühl ist, nämlich ein komplexes System, das in Liebesbeziehungen in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle spielt. Das Gleiche gilt für Intimität.
Intimität ist parallel zum Selbstempfinden des Menschen entstanden. Unsere Vorfahren lernten durch Versuch und Irrtum, dass der Austausch faktischer und emotionaler Informationen einen intersubjektiven Zustand erzeugte, der bewirkte, dass sie sich besser fühlten. Da wir unseren Lebensweg mit einem gespiegelten Selbstempfinden beginnen, war die Entstehung einer fremdbestätigten Intimität praktisch unvermeidlich. Ebenso wie durch die Tatsache, dass ein Partner ein schwächeres und der andere ein stärkeres Verlangen hat, ein Wachstumsprozess initiiert werden kann, kann auch der Konflikt zwischen fremdbestätigter und selbstbestätigter Intimität dies bewirken. Wenn Sie einmal darübernachdenken, wer die Intimität kontrolliert, werden Sie auch noch andere wichtige Ãhnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden genannten Phänomenen feststellen.
Der Partner mit schwächerem Verlangen nach fremdbestätigter Intimität hat immer die Kontrolle über diese
Aus Kapitel 1 wissen Sie, dass der Partner mit dem schwächeren Verlangen immer die Kontrolle über den Sex hat. Bei der Intimität verhält es sich genauso: Der Partner mit dem schwächeren Verlangen nach Intimität hat immer die Kontrolle über diese â solange die beiden Partner die Vier Aspekte der Balance nicht entwickeln und deshalb weiter von fremdbestätigter Identität abhängig bleiben.
Auch hier ist der Prozess der Einschränkung von Möglichkeiten durch Auswahl der Grund: Wenn Sie mit einem anderen Menschen eine Partnerschaft begründen, offenbaren Sie einander Dinge, die Sie miteinander verbinden, und Dinge, von denen Sie aufgrund Ihrer mentalen Einfühlung glauben, dass Ihr Partner sie akzeptieren wird. Irgendwann sind diese Offenbarungen »verbraucht«. Sie erneut zu offenbaren erzeugt dann kein Gefühl der Intimität mehr, denn Intimität erfordert, dass Sie im Laufe der Entwicklung Ihrer Beziehung Neues über sich preisgeben.
Irgendwann stehen Sie und Ihr Partner vor der Notwendigkeit, mit Dingen herauszurücken und sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die der jeweils andere nicht garantiert akzeptiert und bestätigt. Einen schicksalhaften Punkt erreichen Sie, wenn der Partner mit dem schwächeren Verlangen nach fremdbestätigter Intimität nicht mehr bereit ist weiterzugehen â wenn er das, was sein Partner ihm zu sagen hat, nicht mehr hören will. Er offenbart sich dann selbst nicht mehr und lässt die Offenbarungen des Partners nicht mehr an
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