Intimitaet und Verlangen
sich Thomas, nicht in eine Verteidigungshaltung zu verfallen, und tatsächlich gelang ihm dies. Als es nicht zu dem typischen verbitterten Wortwechsel zwischen ihm und Sharon kam, lieà die Spannung im Raum nach. Sharon wusste nicht genau, was sie tun sollte.
»Siehst du, du sagst mal wieder nichts«, stellte sie fest. Thomas wartete daraufhin einen Moment und antwortete dann: »Ich sage nichts, weil ich versuche, die Situation zwischen uns zu verbessern.« Seiner Stimme fehlten dabei die sonst typische Schärfe und der herablassende Ausdruck. Erst später erfuhr ich, wie es zu dieser Veränderung gekommen war: Er hatte gehört, dass sein bester Freund sich scheiden lassen wollte.
Ich wendete mich an Sharon: »Sie wollen seinen Geist spiegeln. Deshalb möchten Sie, dass Thomas Ihnen seine Gedanken und Gefühle mitteilt.«
»Das stimmt«, antwortete Sharon und beruhigte sich.
»Aber Sie wollen andererseits nicht, dass er Ihren Geist spiegelt â vor allem nicht beim Sex. Sie wollen die Intimität zwischen Ihnen und ihm auf das Reden beschränken. Er soll nur das sehen, was Sie ihm zeigen wollen. Dies verhindert, dass Sie und Thomas in Situationen körperlicher oder emotionaler Intimität etwas erleben, das sich einer friedlichen und gelassenen Atmosphäre nähert.« Sharon nickte. Sie nahm auf, was ich sagte.
»Deshalb erstarren Sie beim Sex, wenn Thomas Sie fragt, was Sie möchten. Sie möchten dem folgen, was er vorgibt â und sich später darüber beschweren. Sie wollen nicht tun, was Sie wollen, denn das würde selbstbestätigte Intimität erfordern. Selbst wenn Thomas das, was Sie wollen, gefallen sollte, offenbaren Sie sich durch die Preisgabe Ihrer Präferenzen, und genau das wollen Sie nicht.«
Sharon schaute mich ernst an: »Was ist, wenn ich nicht weiÃ, was ich mag?«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie keine Ahnung haben, was Ihnen beim Sex gefallen könnte?«
Sharon hielt einen Moment inne und lächelte dann. »Ich habe da eine ganz vage Idee.«
»Das reicht völlig. Mehr brauchen Sie nicht. Wenn Sie Ihre vage Idee gemeinsam mit Thomas umzusetzen versuchen, wird Ihnen sicher bald klar werden, was Ihnen gefällt.«
Sharon kicherte: »Und was ist, wenn ich mich mit dem, was mir gefällt, nicht ganz wohlfühle?«
Offensichtlich wusste Sharon mehr über ihre Sexualität, als sie zugeben konnte. Ich schaute ihr in die Augen und dachte: Ich weiÃ, dass Sie mehr wissen, als Sie zugeben können. Sie verbergen Ihre erotische Seite! Sharon hielt meinem Blick stand, las meine Gedanken und errötete.
Mentales Spiegeln bei selbstbestätigter und fremdbestätigter Intimität
Intimität erfordert mentale Einfühlung. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass Ihr Partner im Augenblick tief mit Ihnen verbunden ist, dass Sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit genieÃen, erzeugt das ein Gefühl des »Zusammenseins«. Ebenso ist die Realisation, dass Sie bestimmte Aspekte Ihres Partners nicht kennen, ein Teil der Intimität. Wenn Sie in seinem Geist etwas erkennen, das Sie vorher noch nicht gesehen hatten, werden Sie damit konfrontiert, dass Sie Ihren Partner immer noch nicht vollständig kennen.
Intensive intime Erlebnisse sind »Augenblicke der Begegnung«. Diese sind immer faszinierend, wirken aber nicht immer beruhigend. In diesen Momenten spürt ein Mensch, was im Geist des anderen, der ihm gegenübersteht, vor sich geht. Beide Beteiligten (er)kennen einander. Denken Sie daran, was ich Ihnen an früherer Stelle über die neurowissenschaftliche Hypothese gesagt habe, der Geist entwickle während des ganzen Lebens in Augenblicken der Begegnung (intersubjektiven Zuständen) neue Verbindungen. Dies würde bedeuten, dass Intimität einen Nutzen hat, der weit über alles bisher Vorstellbare hinausgeht.
Reziproke mentale Einfühlung entspricht dem, was die meisten Menschen sich unter Intimität vorstellen. Ein umgangssprachlicher Ausdruck dafür ist, »offen zueinander sein«. Dies verweist auf unsere höchsten Bestrebungen, verstärkt aber auch unser gespiegeltes Selbstempfinden. Was ist, wenn Ihr Partner nicht Gleiches mit Gleichem honoriert? Intimität beinhaltet nicht immer die Erlaubnis, den Geist eines anderen zu spiegeln oder gegenseitige rückhaltlose Offenheit oder auch nur ein freundliches Wort.
Thomas wollte nicht, dass
Weitere Kostenlose Bücher