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Intimitaet und Verlangen

Intimitaet und Verlangen

Titel: Intimitaet und Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schnarch
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Gefühl zu geben, er sei begehrenswert. Sie fühlte sich durch ihre Abhängigkeit von Thomas kontrolliert – und das war auch häufig der Fall. Sie fühlte sich durch ihn eingeschränkt, unter Druck gesetzt und zum »Mitmachen« verpflichtet.
    Zu Beginn ihrer gemeinsamen Beziehung hatte das Verlangen von Thomas nach Sex Sharons Verlangen verstärkt , weil sie sich aufgrund dessen geschätzt und gebraucht fühlte. Manchmal hatten sie in dieser Zeit drei- oder viermal pro Woche Sex gehabt. Doch nach dem ersten Jahr war Sharons Feuer heruntergebrannt. Thomas fing nun an, ihr Schuldgefühle zu vermitteln und sie für seine Befriedigung verantwortlich zu machen. Und Sharon begann, ihm »nachzugeben«. Nach 15 Jahren des Nachgebens hatte sie jeglichen Respekt vor Thomas verloren.
    Thomas war es ähnlich ergangen. Anfangs hatte ihm gefallen, dass Sharon so offen über sich sprach. So hatte sie ihn aus der Reserve gelockt und ihn dazu gebracht, mehr von sich preiszugeben als je zuvor. Es gefiel ihm, dass Sharon an ihm interessiert war. Sie war eine gute Zuhörerin. Sie brachte ihn dazu, mehrüber sich und sein Leben nachzudenken. Ihm gefiel auch, dass Sharon im Bett wagemutiger wurde. Thomas nahm an, dass sie erotisch aktiver werden würde, wenn sie sich bei ihm geborgener fühlte. Er vermutete, dass dies sehr interessant werden könnte.
    Doch jeder Schritt in Richtung einer festen Paarbeziehung verstärkte bei Thomas das Gefühl, er müsse ersticken. Eigentlich hatte das Problem schon mit ihrer Verlobung begonnen. Dass Thomas sich nicht verloben wollte, hatte Sharon verletzt. Das Gleiche wiederholte sich, als sie heirateten. In beiden Fällen hatte er sich verpflichtet gefühlt, seinen Zweifeln keine Beachtung zu schenken und Sharon zu versichern, dass er sie wolle. Thomas schätzte Sharon als emotional sehr abhängig ein. Er wollte nicht mit ihr reden, weil sie, wie er glaubte, von ihm erwartete, dass er »sein Innerstes nach außen kehrte«. Außerdem gefiel ihm nicht, dass Sharon ihm vorwarf, es falle ihm schwer, seine Emotionen zu zeigen.
    Könnte Ihr Gehirn auf diese Weise neue Verbindungen herstellen?
    Es ist schwer vorstellbar, dass in alldem eine produktive Kraft am Werk ist. Doch die Natur hat dem Menschen ein Gehirn gegeben, das mit den traumatischen Situationen des Lebens fertigwerden kann. Die Hirnforschung dokumentiert die neurobiologischen Schäden, die durch Traumata entstehen. Doch vor Millionen von Jahren war das Leben wesentlich traumatischer als heute. Ohne Resilienz hätte sich das menschliche Gehirn aufgrund solcher Erlebnisse zurück entwickelt, statt sich weiter zuentwickeln. Um an den Punkt zu kommen, an dem wir heute stehen, mussten wir Menschen natürliche Systeme entwickeln, mit deren Hilfe unser Gehirn sich selbst reparieren konnte. Vielleicht haben emotionale Patts noch eine andere Funktion, als dass die Natur uns mit ihrer Hilfe dazu antreibt, uns weiterzuentwickeln.
    Wissenschaftler wissen, dass das Gehirn während des ganzen Lebens alte dominierende (»eingefahrene«) neuronale Pfade entfernt und neue aufbaut. Dadurch verändert sich die Funktionsweise unseres Geistes bis hin zu den Gedanken, die wir denken, den Emotionen, die wir empfinden, und den Verhaltensweisen, die wir ausführen (oder nicht ausführen). Außerdem verändert diese ständige Regeneration unsere Selbstwahrnehmung sowie unsere Wahrnehmung anderer Menschen und unserer Umgebung. Ich bin überzeugt, dass die Auflösung von Stagnations- oder Pattzuständen bei diesem Prozess eine Schlüsselrolle spielt. Ich nehme an, dass die Natur mit Hilfe von Patts spontan »neuronale Plastizität« erzeugt. Ein Patt spitzt Ihre Situation zu, und Ihr Gehirn wirddurch aktuelle Deutungsversuche und durch Angst extrem stark aktiviert, insbesondere wenn es dabei um Verlangen geht. Solche Zustände mögen Ihnen missfallen, doch wahrscheinlich wirken sie sich, klug genutzt, positiv auf die Erzeugung neuer Neuronenverbindungen aus.
    Wir sind nicht nur Ausdruck unseres biologischen Erbes. Wir sind Mitschöpfer unseres eigenen Gehirns und Geistes. Wir beeinflussen zunehmend unsere biologischen Grundlagen, statt umgekehrt. 5 Wenn wir Liebesbeziehungen als bloßen Ausdruck unserer genetischen Grundlagen oder unserer Kindheit verstehen, verfälschen wir die realen Verhältnisse erheblich.
    Der Wechsel zur

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