Intrige (German Edition)
Kühlung ins Wasser. Sie planschen herum. Es ist heiß. Ich ziehe die Jacke aus und nehme den Hut ab. »Schaut euch unseren Herrn Oberstleutnant an«, sagt einer. »Er zieht sich aus, jetzt geht’s zur Sache!« Ich lächle und salutiere spielerisch. Ich bin jetzt seit über einem Jahr auf meinem neuen Posten, und noch immer weiß keiner, was ich mache.
Beim Picknick will Edmond über den bevorstehenden Besuch des Zaren reden. Sein Standpunkt ist radikal. »Es ist einfach grundfalsch, wenn eine demokratische Republik einem absolutistischen Monarchen, der Andersdenkende ins Gefängnis steckt, den roten Teppich ausrollt. Dafür steht Frankreich nicht.«
»Frankreich wird vielleicht bald für gar nichts mehr stehen«, wende ich ein. »Wenn wir keinen Alliierten haben, der uns dabei hilft, die Deutschen zu besiegen.«
»Ja, aber was, wenn die Russen gegen die Deutschen in den Krieg ziehen, und wir sind am Ende diejenigen, die da mit hineingezogen werden.«
»Ein Szenarium, in dem das passiert, kann ich mir kaum vorstellen.«
»Tja, ich sage das ja nur ungern zu einem Soldaten, aber die Dinge haben die Angewohnheit, nicht nach Plan zu laufen.«
»Jetzt sei endlich still, Ed!«, sagt Jeanne. »Georges will sich an seinem freien Tag entspannen und sich keine Vorträge von dir anhören.«
»Also schön«, brummt Edmond. »Aber du kannst deinem General Boisdeffre von mir ausrichten, dass Allianzen zwei Seiten haben.«
»Ich bin mir sicher, dass der Chef des Generalstabs eine Lehrstunde in Strategie vom Bürgermeister von Ville-d’Avray fasziniert zur Kenntnis nehmen wird …«
Alle lachen, Edmond eingeschlossen. »Touché, Herr Oberstleutnant«, sagt er und schenkt mir Wein nach.
Nach dem Essen spielen wir mit den Kindern Verstecken. Als ich an der Reihe bin, mich zu verstecken, gehe ich etwa hundert Meter in den Wald und suche mir eine ideale Stelle aus. Ich lege mich hinter einem umgestürzten Baum in eine flache Mulde und decke mich, wie ich es meinen Topografie studenten in der École Supérieure de Guerre beigebracht habe, mit Laub und Zweigen zu. Es ist erstaunlich, wie vollkommen un sichtbar ein Mensch sich machen kann, wenn er bereit ist, entsprechende Unannehmlichkeiten zu ertragen. In dem Sommer nachdem mein Vater gestorben war, lag ich stundenlang so im Wald. Ich lausche auf die Stimmen der Kin der, die meinen Namen rufen. Nach einer Weile verlieren sie die Lust und entfernen sich, bis ich sie nicht mehr hören kann. Ich höre nur noch das Gurren der Tauben, rieche nur noch die duftende trockene Erde, spüre nur noch das weiche Moos unter meinem Nacken. Ich genieße etwa zehn Minuten lang die Einsamkeit, stehe dann wieder auf, klopfe mir den Dreck von der Kleidung und kehre lächelnd zu den anderen zurück. Sie haben schon die Picknicksachen zusammengepackt und warten auf mich.
»Seht ihr?«, sage ich. »Als Soldat lernt man, wie man sich richtig versteckt. Das kann ich euch auch beibringen, wenn ihr wollt.«
Sie schauen mich an, als wäre ich verrückt geworden.
»Wo um Himmels willen bist du gewesen?«, sagt Anna gereizt.
Eines der Kinder fängt an zu weinen.
1 3
Punkt zehn Uhr am Dienstagmorgen, dem 1 . September, betrete ich mit meiner Aktentasche in der Hand das Vorzimmer von General Boisdeffre.
»Sie können gleich hineingehen, Herr Oberstleutnant«, sagt Pauffin de Saint Morel. »Er erwartet Sie schon.«
»Danke. Würden Sie bitte dafür sorgen, dass wir nicht gestört werden?«
Als ich die Tür öffne, lehnt Boisdeffre über einem auf dem Konferenztisch ausgebreiteten Stadtplan von Paris und macht sich Notizen. Er erwidert meinen Gruß mit einem Lächeln und einer Handbewegung und widmet sich dann wieder dem Plan. »Pardon, Picquart, eine Sekunde noch.«
Ich schließe die Tür. Boisdeffre markiert mit einem roten Stift die Route der festlichen Parade des Zaren. Aus Sicherheitsgründen besteht die Route Ihrer Kaiserlichen Hoheiten aus einer Abfolge freier Flächen, wo die Häuser von Bäumen abgeschirmt sind und ein gutes Stück von der Straße entfernt stehen – die Jardins du Ranelagh, den Bois de Boulogne, die Champs-Élysées, die Place de la Concorde. Trotzdem wurde jeder der Anwohner überprüft. Als beratende Behörde wurde die Statistik-Abteilung hinzugezogen. Gribelin wurde darauf angesetzt, unsere Verzeichnisse mit Ausländern und potenziellen Verrätern zu durchforsten. Angesichts der dringend erforderlichen Allianz mit den Russen wäre es eine nationale Katastrophe, sollte
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