Intrige (German Edition)
darum.«
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In meinem Büro lege ich den Umschlag auf den Schreibtisch und denke einen Moment darüber nach. Seltsam, dass einem derart belanglosen Gegenstand eine solche Bedeutung zukommt. Will ich das wirklich tun? Wenn man einmal etwas gelesen hat, kann man es nicht mehr ungelesen machen. Es könnte Konsequenzen haben, juristische und ethische, die ich nicht einmal erahnen kann.
Ich klappe die Lasche auf und nehme den Inhalt heraus. Es sind fünf Schriftstücke.
Zuerst lese ich ein handschriftliches Protokoll von Henry, das den Kontext für seine theatralische Aussage vor dem Kriegsgericht liefert:
Meine Herren,
im Juni 1 8 9 3 gelangte die Statistik-Abteilung in den Besitz einer Mitteilung des deutschen Militärattachés Oberstleutnant von Schwartzkoppen. Die Mitteilung bewies, dass er von einem unbekannten Informanten die Pläne der Befestigungsanlagen in Toul, Reims, Langres und Neufchâteau erhalten hat.
Im Januar 1 89 4 offenbarte eine weitere abgefangene Mitteilung, dass er diesem Informanten für die Pläne der Befestigungen von Albertville, Brian ç on, Mézières und der neuen Dammanlagen auf beiden Seiten der Mosel und der Mörthe im Voraus sechshundert Francs bezahlt hat.
Zwei Monate später, im März 1 8 9 4, traf sich in unserem Auftrag ein Agent der Sûreté, François Guénée, mit dem spanischen Militärattaché Marquis de Val Carlos, einem regelmäßigen Informanten der Statistik-Abteilung. Unter anderem warnte der Marquis Guénée vor einem deutschen Agenten im Generalstab. Seine genauen Worte waren: »Vergessen Sie nicht, Major Henry von mir auszurichten (und er mag es dem Oberst gern weitergeben), dass die Kontrollen im Kriegsministerium verstärkt werden müssen. Aus meinem letzten Gespräch mit den deutschen Attachés weiß ich, dass sie einen Offizier im Generalstab haben, der sie außerordentlich gut informiert. Finden Sie den Mann, Guénée. Wenn ich wüsste, wie er heißt, würde ich Ihnen den Namen nennen!«
Später habe ich den Marquis de Val Carlos selbst getroffen, im Juni 1 8 9 4. Er hat mich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in der Zweiten Abteilung des Generalstabs ein französischer Offizier arbeiten würde – oder zumindest im März und April dort gearbeitet hat –, der die deutschen und italienischen Attachés mit Informationen versorgt hat. Ich fragte nach dem Namen dieses Offiziers, den er aber nicht kannte. Er sagte: » Meine Informationen stimmen, aber den Namen des Offiziers kenne ich nicht.« Nachdem ich Oberst Sandherr über dieses Gespräch unterrichtet hatte, wurden neue Befehle ausgegeben, die wesentlich rigorosere Kontrollen zum Inhalt hatten. In dieser Zeit, am 25. September, gelangte der Bordereau, welcher die Grund lage für die Anklage gegen Dreyfus bildet, in unseren Besitz.
(Gezeichnet)
Henry, Hubert-Joseph (Major)
Die nächsten drei Schriftstücke sind Originale, wieder zusam mengeklebte Blätter, die aus Schwartzkoppens Papierkorb entwendet wurden: Originalmaterial, das vermutlich hinzugefügt wurde, um Henrys Behauptungen zu untermauern. Das erste Blatt ist auf deutsch geschrieben, in Schwartzkoppens Handschrift, und anscheinend der Entwurf eines Memorandums, entweder für sich selbst oder für seine Vorgesetzten in Berlin, verfasst, nachdem er zum ersten Mal von dem Möch tegernverräter kontaktiert worden war. Er hat es in beson ders schmale Streifen zerrissen. Es weist quälende Lücken auf:
Zweifel … Beweis … Offizierspatent … Eine riskante Lage für mich, mit einem französischen Offizier … Darf die Verhandlungen nicht persönlich führen … Bringe mit, was er hat … Sicherer … Geheimdienstabteilung … keine Verbindung … Regiment … nur das ist wichtig … Stammt aus dem Ministerium … Schon woanders …
Das zweite wieder zusammengesetzte Schriftstück ist ein Brief an Schwartzkoppen vom italienischen Militärattaché Major Alessandro Panizzardi. Es ist auf französisch ge schrieben, datiert vom Januar 1 8 9 4 und beginnt mit den Wor ten »Mein geliebter Rammler«.
Ich habe abermals an Oberst Davignon geschrieben, und deshalb bitte ich Dich – wenn sich die Gelegenheit ergibt, die Frage mit Deinem Freund zu erörtern – darauf zu achten, dass Davignon nichts davon erfährt … denn es darf niemals ans Tageslicht kommen, dass der eine mit dem anderen in Verbindung steht.
Auf Wiedersehen, mein starkes Hündchen.
Dein A.
Davignon ist der stellvertretende Leiter der Zweiten Abteilung – der Offizier, der für den
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