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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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die Schießvorschrift –, hat sich Esterházy, das wissen wir, bei einem Artilleriemanöver besorgt. Deshalb deutet der Bordereau leider genau auf das Gegenteil von dem hin, was wir zunächst angenommen haben. Der Verräter kam nicht aus dem Generalstab. Er hatte keinen Zugang zu geheimen Do kumenten. Er war ein Außenstehender, ein Hochstapler, wenn Sie so wollen, der Gerüchte aufgeschnappt, Mitteilungen zusammengestellt und dann versucht hat, diese zu verkaufen. Und das war Esterházy.«
    Gonse lehnt sich in seinem Korbsessel zurück. »Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, mein lieber Picquart?«
    »Sehr gern, Herr General.
    »Vergessen Sie den Bordereau.«
    »Bitte?«
    »Vergessen Sie den Bordereau. Stellen Sie Nachforschungen über Esterházy an, wenn Sie denn wollen, aber lassen Sie den Bordereau aus dem Spiel.«
    Ich nehme mir Zeit für meine Antwort. Mir ist klar, dass er nicht der Schlaueste ist, aber das ist absurd. »Bei allem Respekt, Herr General, den Bordereau – die Tatsache, dass dieser in Esterházys Handschrift geschrieben ist, die Tatsache, dass wir wissen, dass er an der Artillerie interessiert ist –, der Bordereau ist das ausschlaggebende Beweisstück gegen Esterházy.«
    »Tja, dann müssen Sie eben etwas anderes finden.«
    »Aber der Bordereau …« Ich beiße mir auf die Zunge. »Darf ich fragen, warum?«
    »Ich dachte, das liegt auf der Hand. Ein Kriegsgericht hat schon entschieden, wer den Bordereau geschrieben hat. Der Fall ist abgeschlossen. Ich glaube, die Juristen nennen das Res iudicata, eine rechtskräftig entschiedene Sache.« Er lächelt mich durch den Zigarettenrauch an, zufrieden, dass ihm dieser Brocken Schullatein eingefallen ist.
    »Aber wenn wir herausfinden, dass Esterházy der Landesverräter ist und nicht Dreyfus …«
    »Nun, das werden wir kaum herausfinden, oder? Das ist der Punkt. Weil nämlich, wie ich Ihnen gerade erklärt habe, der Fall abgeschlossen ist. Das Gericht hat sein Urteil gesprochen, damit ist die Sache erledigt.«
    Ich schaue ihn mit offenem Mund an. Ich schlucke. Irgend wie muss ich ihn noch wissen lassen, dass sein Vorschlag – wie der zynische Ausspruch lautet – schlimmer ist als ein Verbrechen: Er ist eine kapitale Dummheit. » Wir wollen vielleicht, dass es vorbei ist, Herr General«, beginne ich vorsichtig. »Und unsere Anwälte erzählen uns vielleicht, dass es vorbei ist. Aber die Familie Dreyfus sieht das ganz anders. Und abgesehen von allen anderen Überlegungen mache ich mir offen gesagt auch Sorgen über den Schaden, den die Reputation der Armee nehmen könnte, wenn eines Tages herauskommen sollte, dass wir um die Unhaltbarkeit des Schuldspruchs wussten und nichts dagegen unternommen haben.«
    »Dann kommt es besser nicht heraus, oder?«, sagt er aufgekratzt. Er lächelt, aber seine Augen funkeln bedrohlich. »Das wäre es dann also. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich zu dem Thema zu sagen habe.« Als er aufsteht, quietschen die Lehnen seines Korbsessels wie aus Protest. »Lassen Sie Dreyfus aus dem Spiel, Herr Oberstleutnant. Das ist ein Befehl.«
    •
    Während der Zugfahrt zurück nach Paris sitze ich auf meinem Platz und halte die Aktentasche auf dem Schoß fest umklammert. Ich starre niedergeschlagen auf die Balkons und Wäscheleinen an den Häuserrückseiten der nördlichen Vororte Colombes, Asnières und Clichy. Ich kann kaum glau ben, was gerade passiert ist. Im Geist gehe ich immer wieder die Unterhaltung mit Gonse durch. Habe ich bei meinem Vortrag einen Fehler gemacht? Hätte ich präziser sein sollen, hätte ich ihm rundheraus sagen sollen, dass, verglichen mit unserem sicheren Wissen über Esterházy, die sogenannten Beweise aus dem Geheimdossier nichts weiter als reine Spekulation sind? Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich davon, dass rückhaltlose Offenheit ein schwerer Fehler gewesen wäre. Gonse kennt keinen Kompromiss. Nichts, was ich sage, wird seine Meinung ändern. Wenn es nach ihm geht, kann keine Macht der Erde Dreyfus eine Wiederaufnahme seines Verfahrens ermöglichen. Wenn ich noch hartnäckiger gewesen wäre, hätte das nur zur völligen Zerrüttung unserer Beziehung geführt.
    Ich gehe nicht zurück ins Büro. Das ertrage ich nicht. Stattdessen gehe ich in meine Wohnung, lege mich aufs Bett und rauche mit einer Unerbittlichkeit, die Gonse beeindrucken würde, eine Zigarette nach der anderen – wenn ihn schon sonst nichts an mir beeindruckt.
    Ich habe nicht das Verlangen, meine

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