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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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eine alte Eidechse, die mehr Sommer überlebt hat, als man für möglich halten würde.
    »Wer ist Alexandrine?«, fragt er, als er zum Ende kommt.
    »Von Schwartzkoppen. Er und der italienische Militärattaché nennen sich gegenseitig mit Frauennamen.«
    »Warum das denn?«
    »Weil sie Schwuchteln sind, Herr Minister.«
    »Großer Gott!« Billot verzieht das Gesicht. Er gibt mir den Brief, den er zimperlich zwischen Daumen und Zeigefinger hält, zurück. »Ziemlich schäbige Arbeit, die Sie da verrichten müssen, Picquart.«
    »Ich weiß, Herr General. Ich habe mich nicht darum gerissen. Aber da ich sie nun einmal habe, muss ich sie wohl auch anständig erledigen.«
    »Ganz meine Meinung, Herr Oberstleutnant.«
    »Und das heißt meiner Ansicht nach, die Verbrechen gründlich zu untersuchen, die Esterházy begangen hat. Und wenn sich herausstellen sollte, dass wir Dreyfus von der Teufelsinsel herunterholen müssen – nun ja, ich glaube, es ist besser für uns als Armee, einen Fehler selbst zu korrigieren, als später durch Druck von außen dazu genötigt zu werden.«
    Billot sitzt da, zieht mit Daumen und Zeigefinger die Enden seines Schnurrbarts glatt und schaut ins Leere. Er denkt nach und gibt dabei stöhnende Laute von sich. »Was dieses Geheimdossier angeht«, sagt er nach einer Weile. »Es verstößt doch vermutlich gegen das Gesetz, den Richtern Beweismittel zugänglich zu machen, ohne sie vorher der Verteidigung zur Verfügung zu stellen, oder?«
    »Ja. Ich bedaure, dass ich daran mitgewirkt habe.«
    »Wessen Entscheidung war das?«
    »Letztlich die von General Mercier in seiner Funktion als Kriegsminister.«
    »Ha! Mercier? Wirklich? Schätze, da hätte ich selbst drauf kommen können, dass er da irgendwie die Finger im Spiel hat!« Er schaut wieder ins Leere, streicht sich wieder über den Schnurrbart, stöhnt wieder. Schließlich stößt er einen langen Seufzer aus. »Ich weiß nicht, Picquart. Das ist ein teuflisches Problem. Ich muss erst darüber nachdenken. Es liegt auf der Hand, dass es Konsequenzen haben würde, wenn sich herausstellen sollte, dass wir die ganze Zeit den falschen Mann eingesperrt haben, besonders nachdem wir so ein öffentliches Schauspiel darum veranstaltet haben – schwerwiegende Konsequenzen, für die Armee wie für das Land. Ich muss mit dem Premierminister darüber reden. Aber das kann ich frühestens in einer Woche, ich bin ab Montag beim jährlichen Manöver in Rouillac.«
    »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr General. Habe ich in der Zwischenzeit die Erlaubnis, mit meinen Nachforschungen fortzufahren?«
    Er nickt langsam mit seinem wuchtigen Kopf. »Ich denke schon, mein Junge, ja.«
    »Egal was die Ermittlungen ergeben?«
    Wieder ein schwerfälliges Nicken. »Ja.«
    •
    Voller frischer Energie treffe ich mich noch am selben Abend mit Desvernine am üblichen Ort im Gare Saint-Lazare. Wir haben uns seit Mitte August nicht mehr gesehen. Ich komme etwas zu spät. Er sitzt schon auf einer Eckbank und wartet auf mich. Er liest Le Vélo, trinkt, wie mir auffällt, kein Bier mehr, sondern ist wieder zu Mineralwasser zurückgekehrt. Als ich mich setze, nicke ich zu der Zeitung hin. »Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Radsport interessieren.«
    »Es gibt vieles, was Sie nicht von mir wissen, Herr Oberst leutnant. Ich habe seit zehn Jahren ein Rennrad.« Er fal tet die Zeitung zu einem kleinen Rechteck zusammen und steckt sie in die Jackentasche. Er scheint schlechter Laune zu sein.
    »Kein Notizbuch heute?«, sage ich.
    Er zuckt mit den Achseln. »Es gibt nichts zu berichten. Unser Wohltäter macht immer noch Urlaub in den Ardennen, auf dem Familiensitz seiner Frau. In der Botschaft ist alles ruhig, da rührt sich den Sommer über fast nichts, seit Wochen hat sich keiner von unseren Kandidaten blicken lassen. Ihrem Freund Ducasse hat es auch gereicht, er ist auf Urlaub in die Bretagne gefahren. Ich habe versucht, ihn zurückzuhalten, aber er hat gemeint, wenn er noch länger in der Rue de Lille bleibt, dann dreht er durch. Kann es ihm nicht verdenken.«
    »Sie kommen mir auch ziemlich entmutigt vor.«
    »Nun ja, Herr Oberstleutnant, seit fünf Monaten bin ich jetzt diesem Scheißkerl – wenn Sie mir den Ausdruck gestatten – auf den Fersen, und ich weiß nicht, was wir sonst noch tun können. Entweder schnappen wir ihn uns und machen ein bisschen Druck, vielleicht gesteht er ja dann irgendetwas, oder wir blasen die ganze Operation ab. Das wäre mein Vorschlag. Aber egal

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