Intrige (German Edition)
Staates, die uns zerstören kann, die uns in der Presse und im Gerichtsaal an den Pranger stellen kann, die Lügengeschichten über uns erfinden und sie als wahr darstellen kann. Dagegen gibt es kein Mittel. Glaubst du, ich bin die letzten sieben Monate freiwillig so weit weg von zu Hause gewesen? Und das ist nur ein winziger Vorgeschmack auf das, was sie uns antun können.«
Ich lasse sie los, richte mich auf und setze mich mit dem Rücken zu ihr auf die Bettkante. Sie rührt sich nicht. »Die Frage, was genau unser Leben so verdorben hat, brauche ich dir wohl gar nicht erst zu stellen, oder?«, sagt sie nach einer Weile.
»Außer mit Louis kann ich mit niemand darüber reden. Und mit ihm habe ich nur gesprochen, weil er mein Anwalt ist. Wenn irgendetwas passiert, wende dich an ihn. Er ist ein kluger Mensch.«
»Und wie lange soll das noch so weitergehen, bis an unser Lebensende?«
»Nein, ein paar Wochen noch, vielleicht zwei Monate. Dann bricht der Sturm los, dann erfährst du wenigstens, worum sich das alles dreht.«
Sie schweigt eine Weile. »Können wir uns wenigstens schreiben?«, sagt sie dann.
»Ja, aber wir müssen Vorsichtsmaßnahmen treffen.« Ich stehe auf, gehe nackt ins Wohnzimmer und hole Stift und Papier. Es ist eine Erleichterung, etwas Praktisches zu tun. Als ich zurückkomme, sitzt sie auf dem Bett und hat die Arme um die Knie geschlungen. »Louis hat sich darum gekümmert, dass ich meine Post an einen Freund von ihm schicken kann. Der wohnt in der Avenue de la Motte-Picquet – hier ist die Adresse. Dahin gehen meine Briefe an dich. Geh nicht selbst hin, lass sie von jemand andres abholen. Ich werde nie deinen Namen nennen, weder auf dem Umschlag noch im Brief selbst, und ich werde auch nicht unterschreiben. Und du unterschreibst deine Briefe am besten auch nicht. Und schick nichts mit, was irgendeinen Hinweis darauf geben könnte, wer du bist.«
»Werden irgendwelche Regierungsleute wirklich unsere Briefe lesen?«
»Ja, ziemlich sicher sogar. Viele Leute, Minister, Armeeoffiziere, Polizeibeamte. Es gibt eine Vorkehrung, die du ausprobieren könntest, auch wenn das möglicherweise bedeutet, dass der Brief nicht zu mir durchkommt. Benutz einen doppelten Umschlag. Streich das innere Kuvert ganz mit Klebstoff ein; es klebt dann an dem äußeren Kuvert fest, wenn du es hineinschiebst. So kann der Brief nicht geöffnet und dann unbemerkt wieder verschlossen werden. Wenn sie daran herumpfuschen, müssen sie ihn behalten, und vielleicht wollen sie ja doch nicht als so unverfroren dastehen. Keine Ahnung, ob es klappt, aber einen Versuch ist es wert.«
Sie neigt den Kopf zur Seite und schaut mich an, gleichzeitig fragend und verblüfft, als sähe sie mich zum ersten Mal richtig. »Woher weißt du das alles?«
Ich nehme sie in den Arm. »Tut mir leid«, sage ich. »Das war meine Arbeit.«
1 7
Vier Monate vergehen.
Vom Militärklub in Sousse kann man immer noch durch eine Reihe staubiger Palmen über den ungepflasterten Platz auf das Mittelmeer sehen. Das Glitzern des Wassers ist so metallisch gleißend wie immer. Und auch der Junge in dem langen, braunen Gewand geht immer noch zur gleichen Zeit am Nachmittag mit einer Ziege über den Platz. Der einzige Unterschied ist inzwischen, dass der Junge mir zuwinkt und ich zurückwinke, weil wir uns ein vertrauter Anblick gewor den sind. Wie üblich sitze ich nach dem Mittagessen allein am Fenster, während meine Offizierskameraden Karten spielen, vor sich hin dösen oder in den veralteten französischen Zeitungen blättern. Niemand spricht mich an.
Es ist Freitag, der 29 . Oktober 1 89 7 , und seit meiner Rück kehr aus Paris habe ich jeden Tag die Zeitungen durchgesehen, ohne auch nur einmal auf das Wort Dreyfus zu stoßen. Ich mache mir allmählich Sorgen, dass Louis etwas zugestoßen sein könnte.
Nach wie vor ist es gängige Übung, dass um drei Uhr ein junger Ordonnanzoffizier durch die hohe glasgetäfelte Tür tritt und mir die Nachmittagspost bringt. Es ist nicht mehr Savignaud – er ist wegen unsittlicher Handlungen mit einem einheimischen Olivenölhändler festgenommen, zu neun Tagen Arrest verurteilt und weiß Gott wohin gebracht worden. Sein Ersatz heißt Jemel, er ist Araber. Sollte er ein Spion sein, was ich annehme, dann ist er zu gut, als dass ich ihm auf die Schliche kommen könnte, weshalb ich Savignaud mit seinen unbeholfenen Methoden eigentlich vermisse.
Jemel taucht lautlos neben meinem Sessel auf und salutiert. »Ein Telegramm
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