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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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für Sie, Herr Oberstleutnant.«
    Es ist aus dem Hauptquartier der Armee in Tunis. »Das Kriegsministerium weist Oberstleutnant Picquart an, sich umgehend nach El Ouatia zu begeben und Berichten nachzugehen und sie wenn möglich zu verifizieren, dass sich feindliche Reitertruppen der Beduinen in der Gegend von Tripolis zusammenziehen. Bitte melden Sie sich vor Ihrer Abreise bei mir, damit wir die Konsequenzen Ihrer Mission erörtern können. Herzlichst, Leclerc.«
    »Soll ich eine Antwort übermitteln, Herr Oberstleutnant?«, fragt Jemel.
    Einen Augenblick lang bin ich zu überrascht, als dass ich ein Wort herausbrächte. Ich lese das Telegramm noch einmal, nur um sicherzugehen, dass ich nicht halluziniere.
    »Ja«, sage ich schließlich. »Telegrafieren Sie General Leclerc, dass ich morgen bei ihm vorsprechen werde.«
    »Selbstverständlich, Herr Oberstleutnant.«
    Nachdem Jemel in die Nachmittagshitze entschwunden ist, studiere ich das Telegramm noch einmal. El Ouatia?
    •
    Am nächsten Morgen steige ich in den Zug nach Tunis. In meiner Aktentasche befindet sich ein Schriftstück. Es ist der Geheimdienstbericht über die Ermordung des Marquis de Morès. Ich kenne den Bericht gut, ich habe ihn selbst geschrieben – eine der wenigen echten Leistungen während meiner Zeit in Afrika.
    Morès, der ein fanatischer Antisemit und der berühm teste Duellant seiner Zeit war, kam vor zwei Jahren mit dem hirnverbrannten Plan nach Tunesien, einen arabischen Aufstand gegen das britische Weltreich anzuzetteln. Er wollte die tunesische Wüste durchqueren – ein Gebiet jenseits von Recht und Zivilisation, durch das Beduinenkarawanen noch heute gelegentlich Kolonnen von Negersklaven schleusen, die mit Halseisen aneinandergekettet sind. Morès ignorierte alle War nungen, machte sich mit dreißig Mann auf den Weg, folgte erst der Küstenlinie, um dann südlich von Gabès in die Wüste vorzustoßen.
    Am Morgen des 8 . Junis brach Morès seine Zelte ab. In Begleitung von sechs Tuareg, die er als den Kern seiner Privatarmee betrachtete, ritt er auf seinem Kamel dem Rest der Truppe etwa zwei Kilometer voraus, als plötzlich von allen Seiten Beduinenkämpfer auftauchten. Gleichzeitig fielen seine Tuaregbegleiter über ihn her und versuchten ihm das Winchester-Gewehr und den Revolver zu entreißen. Morès erschoss mit dem Revolver zwei der Angreifer, verwundete einen dritten tödlich und lief dann zu einem vierzig Meter entfernten Baum, wobei er zwei weitere Tuareg erschoss, die ihm gefolgt waren. Hinter dem Baum fiel er auf die Knie, lud den Revolver nach und wartete auf die Rettung durch den Rest seiner Männer. Diese hatten jedoch – aus Angst oder weil sie Verräter waren – einen Kilometer entfernt halt gemacht. Die Hitze tagsüber war höllisch. Einer der Tuareg näherte sich dem Marquis unter dem Vorwand, mit ihm verhandeln zu wollen. In Wahr heit wollte er herausfinden, wie viele Kugeln dieser noch hatte. In seiner Verzweiflung packte Morès ihn am Hals und nahm ihn als Geisel. Der Mann konnte sich jedoch kurz danach los reißen, woraufhin Morès auch ihn erschoss. Das Handgemen ge nutzten die Attentäter, um sich näher heranzuschleichen und Morès mit einem Schuss in den Hinterkopf zu töten. Sie schnitten seinen Geldgürtel auf und stahlen 1 8 0 Goldstücke, zogen die Leiche nackt aus und verstümmelten sie.
    Die Zweite Abteilung hatte wissen wollen, ob der britische Geheimdienst das Attentat organisiert habe. Ich konnte ihnen versichern, dass das nicht der Fall gewesen sei. Die Lehre aus dem Vorfall lag jedoch klar auf der Hand. Es war purer Selbstmord, sich mit weniger als einer ganzen Infanteriebrigade plus Kavallerie und Artillerie so weit nach Süden vorzuwagen. Der Ort, wo Morès starb, hieß El Ouatia.
    •
    Der Zug erreicht Tunis am Nachmittag. Wie üblich muss ich mich durch das Gedränge auf dem Perron schieben, um zum Droschkenstand zu gelangen, und wie üblich steht da ein Junge, der La Dépêche tunisienne verkauft. Ich gebe ihm fünf Centimes und steige in eine Kutsche. Plötzlich stockt mir der Atem. Da ist sie, mitten auf der Titelseite, die Erklärung für mein Himmelfahrtskommando. Ich hätte es wissen müssen:
    FALL DREYFUS. Paris, 8.45 Uhr. Der Vizepräsident des Senats, Auguste Scheurer-Kestner, sorgte am vergangenen Abend für eine Sensation, als er L’Agence Nationale sagte: »Ich bin fest von Hauptmann Dreyfus’ Unschuld überzeugt und werde alles unternehmen, das zu beweisen. Nicht nur, indem ich

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