Intrige (German Edition)
Seiten ab. »Ich kann niemand sehen, der das Haus beobachtet. Aber leider sind diese Burschen geschickt. Also gehen wir am besten davon aus, dass sie an dir dran sind.«
»Ja, stimmt wohl. Also, mein Freund, hast du die beiden Kopien gemacht? Sehr schön.« Er nimmt die beiden Abschriften und steckt sie in seine Aktentasche. »Eine kommt in meinen Tresor, die andere in ein Bankschließfach in Genf.« Er lächelt mich an. »Kopf hoch, mein lieber Georges. Wenn sie jetzt erst dich und danach mich umbringen, dann müssen sie immer noch in die Schweiz einmarschieren.«
Nach zwei Tagen als Gefangener in der Wohnung meiner Schwester bin ich alles andere als zu Scherzen aufgelegt. »Ich weiß nicht, Louis. Ich frage mich, ob der sicherste Weg nicht der ist, das Ganze einfach den Zeitungen zu übergeben, dann wäre alles erledigt.«
»O nein, auf gar keinen Fall«, ruft Louis entsetzt. »Das wäre verheerend, für dich und für Dreyfus.« Er zieht einen Briefbogen aus der Aktentasche. »Ich habe mir alles genau durch den Kopf gehen lassen. Dieser Brief von Major Henry, der ist hochinteressant, sogar äußerst gerissen. Offenbar haben sie für den Fall, dass du mit deinem Wissen an die Öf fentlichkeit gehst, Alternativpläne in der Schublade. Aber nicht nur das, sie wollen auch, dass du genau verstehst, worin diese Alternativpläne bestehen.«
»Um mich abzuschrecken?«
»Ja, gut durchdacht, wenn man es genau bedenkt. Ihr Hauptziel ist, dass du nichts unternimmst. Deshalb wollen sie dir zeigen, dass sie gewillt sind, dir das Leben sehr unangenehm zu machen, wenn du doch versuchen solltest, etwas zu unternehmen.« Er studiert den Brief. »So wie ich das verstehe, behauptet Henry im Kern, dass du ein Komplott geschmiedet hast, um Esterházy zu verleumden: erstens, indem du eine ungesetzliche Untersuchung gegen ihn eingeleitet hast, zweitens, indem du deine Mitarbeiter zu falschen Zeugenaussagen über das Belastungsmaterial angestiftet hast, und drittens, indem du geheime Informationen nach außen gegeben hast, um den Fall gegen Dreyfus zu sabotieren. Das wird eindeutig ihre Verteidigungslinie sein, wenn du dich an die Presse wenden solltest, der Vorwurf, dass du die ganze Zeit für die Juden gearbeitet hast.«
»Das ist doch absurd!«
»Natürlich ist das absurd. Aber viele Menschen werden ganz wild darauf sein, das zu glauben.«
Ich begreife, dass er recht hat. »Wenn ich mich nicht an die Zeitungen wende, vielleicht sollte ich mich dann privat mit der Familie Dreyfus in Verbindung setzen und ihnen wenigstens den Namen Esterházy nennen?«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Natürlich hat die Familie auf bewundernswerte Weise zu ihrem unglückseligen Hauptmann gestanden. Aber als dein Anwalt muss ich mir auch die Frage stellen, ob sie auf gleiche Weise zu dir stehen würden. Wenn sie den Namen Esterházy erführen, wäre das vermutlich enorm nützlich für ihre Sache. Aber besonders wertvoll wäre für sie der Umstand, dass sie den Namen von dir erfahren hätten, dem Leiter der Geheimdienstabteilung höchstpersönlich.«
»Du meinst, sie würden mich als Quelle preisgeben?«
»Wenn das Ziel der Dreyfus-Familie die Freilassung des Verbannten ist, dann wären sie fast gezwungen, das zu tun. Und ich könnte es ihnen nicht verdenken, du etwa? Wie auch immer, auch wenn sie den Mund halten, dann würde dein Name trotzdem nach ein, zwei Tagen durchsickern, da bin ich mir ganz sicher. Du stehst unter Beobachtung, genau wie die Familie. Und sobald dein Name auf dem Markt ist, wird das leider dem Generalstab alle nötigen Beweise liefern, um die meisten Leute davon zu überzeugen, dass du schon die ganze Zeit heimlich auf Dreyfus’ Freilassung hinge arbeitet hast. Deshalb habe ich auch gesagt, dass Henrys Brief so gerissen ist.«
»Dann sitze ich also in der Falle?«
»Nicht ganz. Wir müssen strategisch denken. Wie nennt ihr Soldaten das, wenn man einen Gegner nicht frontal angreift, sondern von der Seite?«
»Flankenangriff?«
»Flankenangriff, genau, wir müssen sie von der Flanke her angreifen. Du redest mit niemand darüber, das würde ihnen nur in die Hände spielen. Überlasse das alles mir. Ich werde deine Informationen nicht an die Presse und auch nicht an die Dreyfus-Familie weitergeben, sondern an eine öffentliche Person, deren Integrität unantastbar ist.«
»Und wer ist dieser Musterknabe?«
»Genau darüber habe ich gestern fast den ganzen Abend nachgedacht, und heute Morgen beim Rasieren ist mir die
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