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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Originalbericht für Boisdeffre, den Geheimdienstvermerk über Major Esterházy vom 74 . Infanterieregiment. »Dann die hier.« Ich überreiche ihm die Briefe, die ich nach meinem Ausflug aufs Land zu Gonse mit diesem gewechselt habe und in denen er mich drängt, meine Nachforschungen über Esterházy nicht auf Dreyfus auszuweiten. »Und dann ist da noch das hier.« Ich halte ihm den Brief von Henry hin, in dem er mir offenbart, dass meine Amtsführung als Chef der Statistik-Abteilung untersucht wird.
    Louis liest alles schnell und hoch konzentriert durch. Als er fertig ist, legt er die Papiere zur Seite und blickt mich ernst an. »Die Frage, die ich allen meinen Mandanten am Anfang stelle, Georges … und das bist du jetzt, obwohl nur der Himmel weiß, ob ich jemals ein Honorar dafür sehe. Also, die Frage, die ich meinem Mandanten immer stelle, ist die: Was willst du damit erreichen?«
    »Ich möchte, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird – das vor allem. Ich will, dass die Armee diesen Skandal mit so wenig Schaden wie möglich übersteht, denn ich verehre die Armee nach wie vor. Und es gibt einen eigennützigen Grund: Ich würde gern meine Karriere fortsetzen.«
    »Ha! Nun ja, gut möglich, dass du eines dieser Ziele erreichst, vielleicht auch zwei, wenn ein Wunder geschieht, aber alle drei ist völlig unmöglich! Ich gehe davon aus, dass niemand aus der militärischen Hierarchie dir bei deinem Kampf zur Seite steht, oder?«
    »So funktioniert das in der Armee nicht. Leider haben wir es mit vier der höchsten Offiziere des Landes zu tun – dem Kriegsminister, dem Generalstabschef, dem Leiter des Militärischen Geheimdienstes und dem Befehlshaber des 4 . Armeekorps – das ist derzeit Mercier. Alle vier sind mehr oder weniger in diese Affäre verstrickt, ganz zu schweigen von der gesamten Geheimdienstabteilung. Versteh mich nicht falsch, Louis. Die Armee ist nicht völlig verrottet. Es gibt jede Menge guter und ehrenhafter Männer im Oberkommando. Aber wenn es darauf ankäme, dann hätte das Wohl der Armee für sie immer Vorrang. Vermutlich wird keiner von ihnen alles in Schutt und Asche legen, nur um einen … nun ja …« Ich zögere.
    »Einen Juden zu retten?«, sagt Louis. Ich erwidere nichts. »Na gut, also weiter. Wenn wir niemand in der Armee damit behelligen können, welche Möglichkeit haben wir dann?«
    Ich will gerade antworten, als es laut an der Wohnungstür klopft. Das Klopfen ist energisch, autoritär, ich muss sofort an etwas Dienstliches, an Polizei denken. Louis öffnet den Mund, aber meine erhobene Hand bringt ihn zum Schweigen. Leise gehe ich zu der verglasten, mit einer Spitzengardine verhängten Wohnzimmertür. Ich schiele gerade an der Gardine vorbei, als Anna aus der Küche kommt und sich die Schürze glatt streicht. Sie sieht mich und nickt zum Zeichen, dass sie weiß, was zu tun ist. Dann öffnet sie die Wohnungstür. Ich sehe nicht, wer da steht, aber ich kann eine tiefe männliche Stimme hören. »Entschuldigen Sie, Madame, ist Oberstleutnant Picquart da?«
    »Nein. Wie auch? Das ist nicht seine Wohnung.«
    »Wissen Sie zufällig, wo er ist?«
    »Der letzte Brief, den ich von ihm erhalten habe, kam aus Tunesien. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Verzeihung, Madame, ich bin ein alter Freund aus der Armee.«
    »Und Ihr Name?«
    »Ach, der ist nicht weiter wichtig. Richten Sie ihm bitte aus, dass ein alter Freund aus der Armee nach ihm gefragt hat. Auf Wiedersehen.«
    Anna schließt die Tür und schiebt den Riegel vor. Sie schaut mich an. Ich lächele. Gut gemacht. Ich drehe mich zu Louis um. »Jedenfalls wissen sie, dass ich in Paris bin.«
    •
    Kurz danach geht Louis. Bis auf den Brief an den Präsidenten, den er mir mit der Anweisung dalässt, ihn zweimal zu kopieren, nimmt er alle meine Unterlagen mit. Nachdem Jules und Anna zu Bett gegangen sind, bleibe ich noch lange mit Feder und Tinte am Küchentisch sitzen. Wieder der Anarchist, der an seiner Bombe bastelt: »Der Prozess gegen Dreyfus wurde auf beispiellos oberflächliche Weise mit der vorgefassten Meinung von Dreyfus’ Schuld und unter Missachtung der gebotenen Rechtsprinzipien durchgeführt …«
    Louis kommt am nächsten Tag zur gleichen Zeit wieder, am späten Nachmittag. Anna führt ihn ins Wohnzimmer. Ich umarme ihn, gehe dann zum Fenster und schaue nach unten. »Könnte dir jemand gefolgt sein?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    Ich verrenke mir den Hals und suche die Rue Cassette auf beiden

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