Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
Staatstreichs geworden sind? Wie anders soll man es nennen, wenn dem Generalstab gestattet wird, ein Beweisstück zu präsentieren, das einzusehen der Verteidigung verwehrt wird, und der Generalstab dann mit massenhafter Fahnenflucht für den Fall droht, dass das zivile Gericht diesen Beweis nicht akzeptiert? Die Taktik, die sie schon gegen Dreyfus angewandt haben, versuchen sie nun auf das ganze Land anzuwenden.«
    »Stimmt. Und deshalb möchte ich auch noch einmal in den Zeugenstand gerufen werden.«
    »Bist du dir da sicher?«
    »Sagst du Labori Bescheid?«
    »Sei vorsichtig, Georges. Das sage ich jetzt als dein Anwalt. Du verstößt gegen die Verschwiegenheitspflicht und brichst deinen Diensteid. Dafür schicken sie dich zehn Jahre hinter Gitter.«
    »Es gibt noch etwas, was du für mich tun könntest«, sage ich auf dem Weg zum Gerichtssaal zu ihm. »Würdest du dich bitte so diskret wie möglich mit einem Beamten der Sûreté, Jean-Alfred Desvernine, in Verbindung setzen und ihm ausrichten, dass ich ihn streng vertraulich treffen muss? Sag ihm, er soll sich in den Zeitungen auf dem Laufenden halten und am Tag nach meiner Entlassung um sieben Uhr abends am üblichen Ort sein.«
    »Am üblichen Ort …« Louis notiert alles kommentarlos.
    Als wir wieder im Gerichtssaal sind, fragt mich der Richter: »Was haben Sie Ihrer Aussage noch hinzuzufügen, Oberstleutnant Picquart?«
    Während ich zum Zeugenstand gehe, schaue ich kurz zu Henry, der eingeklemmt zwischen Gonse und Pellieux auf seinem Platz sitzt. Die verschränkten Arme auf seiner mächtigen Brust sehen wie Stummel aus, wie gestutzte Flügel.
    Ich fahre mit den Fingern über die polierte, fein gemaserte Handleiste des Zeugenstands. »Ich möchte etwas zu dem Schriftstück sagen, dem sicheren Beweis für Dreyfus’ Schuld, von dem General Pellieux in seiner Aussage gesprochen hat. Wenn er es nicht erwähnt hätte, hätte ich nie ein Wort darüber verloren, aber nun sehe ich mich genötigt, es doch zu tun.« Die Uhr tickt. Ich fühle mich, als stünde ich vor einer geöffneten Falltür und täte nun den Schritt über den Rand. »Es ist eine Fälschung.«
    •
    Der Rest ist schnell erzählt. Nachdem das Gejohle und Geschrei verstummt ist, tritt Pellieux vor und beleidigt mit heftigen Worten meinen Charakter. »Alles an diesem Fall ist sonderbar, aber das Sonderbarste ist die Einstellung eines Mannes, der noch immer die französische Uniform trägt und hier vor Gericht erscheint, um drei Generäle der Fälschung eines Schriftstücks zu beschuldigen.«
    Am Tag der Urteilsverkündung werde ich zum letzten Mal mit der Kutsche von der Festung Mont-Valérien in die Stadt gefahren. Die Straßen rund um den Justizpalast sind voller Schlägertypen mit schweren Knüppeln. Als die Geschworenen sich zur Urteilsfindung zurückziehen, sammeln sich die Dreyfusarden, wie wir inzwischen genannt werden, in der Mitte des Gerichtssaals, weil wir uns in der Gruppe sicherer fühlen: Zola, Perrenx, die Brüder Clemenceau, Louis und Labori, Madame Zola und Laboris junge, auffallend schöne australische Frau Marguerite, die die beiden kleinen Jungen aus ihrer früheren Ehe mitgebracht hat. »So sind wir alle zusammen«, sagt sie in ihrem Französisch mit starkem Akzent. Durch die hohen Fenster können wir den lärmenden Mob auf der Straße hören.
    »Wenn wir gewinnen, kommen wir hier nicht lebend raus«, sagt Clemenceau.
    Nach vierzig Minuten kehren die Geschworenen zurück und setzen sich auf ihre Bank. Ihr Sprecher, ein bulliger Kauf mann, steht auf. »Bei meiner Ehre und meinem Gewissen verkünde ich die Entscheidung der Geschworenen. Im Fall Perrenx, mit der Mehrheit der Stimmen, schuldig; im Fall Zola, mit der Mehrheit der Stimmen, schuldig.«
    Ein Tumult bricht los. Die Offiziere jubeln. Alle sind auf gesprungen. Die nach der letzten Mode gekleideten Damen steigen auf ihre Sitze, um besser sehen zu können.
    »Kannibalen«, sagt Zola.
    Der Richter verurteilt Perrenx, den Geschäftsführer von L’Aurore, zu vier Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von dreitausend Francs. Zola erhält die Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis und eine Geldstrafe von fünftausend Francs. Die Strafen werden bis zur Berufungsverhandlung ausgesetzt.
    Als wir den Gerichtssaal verlassen, gehe ich dicht an Henry vorbei, der mit einigen Offizieren des Generalstabs zusammensteht. Er erzählt gerade einen Witz. »Meine Se kundanten werden Sie in den kommenden Tagen aufsuchen«, sage ich kühl zu ihm.

Weitere Kostenlose Bücher