Intrige (German Edition)
»Um die Vorkehrungen für unser Duell zu treffen. Ich erwarte Ihre Antwort.« Zufrieden stelle ich fest, dass zumindest kurz das Lächeln aus seinem Schweinegesicht verschwindet.
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Drei Tage später, am Samstag, dem 26 . Februar, lässt mich der Kommandant von Mont-Valérien in sein Büro rufen und in Habtachtstellung vor seinem Schreibtisch stehen, während er mir mitteilt, dass mich ein Ausschuss ranghoher Offiziere schweren Fehlverhaltens für schuldig befunden habe und ich mit sofortiger Wirkung aus der Armee entlassen sei. Ich werde nicht die volle Pension eines Oberstleutnants, sondern nur die eines Majors erhalten: dreißig Francs die Woche. Er sei weiter befugt, mich davon zu unterrich ten, dass die Armee, sollte ich in der Öffentlichkeit welchen Kommentar auch immer zu meiner Dienstzeit im Generalstab abgeben, die härtestmöglichen Sanktionen gegen mich ergreifen werde.
»Haben Sie etwas zu sagen?«
»Nein, Herr Oberst.«
»Wegtreten!«
In der Abenddämmerung begleitet mich eine Eskorte zum Tor und lässt mich mit meinem Koffer auf dem Pflaster des Vorhofs stehen. Ich muss selbst sehen, wie ich nach Hause komme. Seit meinem achtzehnten Lebensjahr kenne ich kein anderes Leben als das in der Armee. All das liegt nun hinter mir, und so gehe ich als einfacher Monsieur Picquart den Hügel hinunter zum Bahnhof und steige in den nächsten Zug nach Paris.
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Am nächsten Abend gehe ich zum Gare Saint-Lazare und setze mich im Bahnhofsrestaurant an denselben Ecktisch wie immer. Es ist Sonntag, das Lokal ist ruhig, fast verwaist. Ich bin einer von einer Handvoll Gäste. Um etwaige Verfolger abzuschütteln, bin ich in Kirchen gegangen und durch Seitentüren wieder hinausgeschlüpft, bin Wege wieder zurückgegangen, habe mich durch enge Gassen gedrückt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir niemand gefolgt ist. Ich lese meine Zeitung, rauche eine Zigarette und nippe bis Viertel vor acht an einem einzigen Bier, bis kein Zweifel mehr besteht, dass Desvernine nicht kommt. Ich bin enttäuscht, aber nicht über rascht. Da sich meine Lage sehr verändert hat, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, kann ich es ihm nicht verdenken.
Ich gehe wieder nach draußen und steige vor dem Bahnhof in einen Pferdeomnibus nach Hause. Die Plätze unten sind alle besetzt, sodass ich zur oberen, offenen Plattform hinaufsteige. Es ist kalt, die vermummten Fahrgäste starren vor sich hin. Ich setze mich in die Mitte der längs verlaufenden Sitzbank. Mit dem Kinn auf der Brust und den Händen in den Manteltaschen sitze ich da und schaue auf die dunklen oberen Stockwerke der Läden. Keine Minute später setzt sich ein Mann in einem schweren Mantel und mit einem Schal um den Hals auf die Bank. Er lässt etwas Platz zwischen sich und mir.
»Guten Abend, Herr Oberstleutnant«, sagt er.
Überrascht drehe ich mich zu ihm. »Desvernine!«
Er schaut weiter geradeaus. »Man ist Ihnen von Ihrer Wohnung gefolgt.«
»Ich dachte, ich hätte sie abgeschüttelt.«
»Nur zwei. Der Dritte sitzt unten. Glücklicherweise arbeitet er für mich. Ich glaube nicht, dass es noch einen Vier ten gibt. Trotzdem schlage ich vor, dass wir uns kurz fassen.«
»Natürlich. Ich freue mich, dass Sie überhaupt gekommen sind.«
»Was wollen Sie?«
»Ich muss mit Lemercier-Picard sprechen.«
»Warum?«
»Im Dreyfus-Fall spielen jede Menge Fälschungen eine Rolle. Ich könnte mir vorstellen, dass er zumindest bei einigen seine Finger im Spiel hatte.«
»Ach so.« Er macht ein gequältes Gesicht. »Das wird nicht einfach. Können Sie sich etwas präziser ausdrücken?«
»Ja. Ich denke da vor allem an das Schriftstück, das gestern in dem Zola-Prozess zur Sprache kam, diesen sogenannten sicheren Beweis, für den sich General Boisdeffre verbürgt hat. Wenn es das ist, was ich glaube, dann handelt es sich dabei um fünf oder sechs handschriftliche Zeilen. Ziemlich viel, um von einem Amateur gefälscht worden zu sein. Außerdem existiert jede Menge Originalmaterial, mit dem man sie vergleichen kann. Deshalb vermute ich, dass sie dafür einen Profi engagiert haben.«
»Wen genau meinen Sie mit sie, Herr Oberstleutnant, wenn Sie mir die Frage gestatten?«
»Die Statistik-Abteilung. Oberstleutnant Henry.«
»Henry? Der Stellvertreter spielt den Boss!« Er schaut mich zum ersten Mal an.
»Geld kann ich vermutlich irgendwie beschaffen – wenn es das ist, was Ihr Mann will.«
»Das will er bestimmt, das kann ich Ihnen versprechen, und zwar jede Menge.
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