Intrige (German Edition)
Wann wollen Sie ihn sprechen?«
»Sobald wie möglich.«
Desvernine verkriecht sich in seinen Mantel und denkt nach. Ich kann sein Gesicht nicht sehen. »Ich werde mich darum kümmern, Herr Oberstleutnant«, sagt er schließlich und steht auf. »Ich steige hier aus.«
»Ich bin kein Oberstleutnant mehr, Monsieur Desvernine. Sie brauchen mich nicht mehr so zu nennen. Und Sie sind auch nicht dazu verpflichtet, mir zu helfen. Es ist riskant für Sie.«
»Sie vergessen, wie viel Zeit ich darauf verwendet habe, Esterházy nachzustellen. Ich kenne den Dreckskerl in- und auswendig. Es macht mich krank, ihn frei herumlaufen zu sehen. Ich werde Ihnen helfen, schon wegen ihm.«
•
Für mein Duell mit Henry brauche ich zwei Sekundanten, die die Vorbereitungen treffen und den korrekten Ablauf sicherstellen. Ich fahre nach Ville-d’Avray, um Edmond Gast zu bitten, einer der beiden zu sein. Nach dem Mittagessen sitzen wir mit Decken über den Beinen auf der Terrasse und rauchen eine Zigarre. »Wenn du unbedingt willst, dann fühle ich mich natürlich geehrt«, sagt er. »Aber ich bitte dich, dir das Ganze noch einmal zu überlegen.«
»Ich habe ihn öffentlich zum Duell gefordert, Ed. Ich kann jetzt unmöglich einen Rückzieher machen. Außerdem will ich das gar nicht.«
»Welche Waffe wirst du wählen?«
»Säbel.«
»Herrgott, Georges, du hast seit Jahren keinen Säbel mehr in der Hand gehabt.«
»Er bestimmt auch nicht, so wie er aussieht. Wie auch immer, ich habe einen kühlen Kopf und bin auch noch ganz gut auf den Beinen.«
»Aber du bist in jedem Fall besser mit der Pistole als mit dem Säbel. Außerdem gibt es mit Pistolen immer noch die gesunde Gepflogenheit, absichtlich vorbeizuschießen.«
»Richtig. Aber wenn ich die Pistole wähle und er den Losentscheid gewinnt und als Erster schießen darf, was dann? Vielleicht will er gar nicht vorbeischießen. Wenn er mir eine Kugel ins Herz jagt, sind schlagartig all ihre Probleme gelöst. Nein, das Risiko ist mir zu groß.«
»Und wer soll dein zweiter Sekundant sein?«
»Ich habe mir überlegt, dass du vielleicht deinen Freund Senator Ranc bitten könntest.«
»Warum Ranc?«
Ich ziehe an meiner Zigarre, bevor ich antworte. »Während meiner Zeit in Tunesien habe ich mich intensiv mit Marquis de Morès beschäftigt, der bei einem Duell einen jüdischen Offizier getötet hat. Dabei hat er einen schwereren Säbel benutzt, als die Regeln es erlauben. Der Säbel ging durch die Achsel hindurch und hat das Rückgrat durchtrennt. Ich glaube, es wäre eine ganz gute Lebensversicherung, wenn ich einen Senator an meiner Seite hätte. Das hält Henry viel leicht davon ab, irgendwelche miesen Tricks zu versuchen.«
Edmond sieht mich entsetzt an. »Tut mir leid, Georges, aber das ist doch blanker Wahnsinn. Einmal abgesehen von dir selbst … Du bist es der Sache von Dreyfus’ Befreiung schuldig, dich keiner Gefahr auszusetzen.«
»Er hat mich in einer öffentlicher Gerichtsverhandlung der Lüge geziehen. Meine Ehre fordert das Duell.«
»Versuchst du deine Ehre zu rächen … oder Paulines?«
Ich schweige.
•
Am nächsten Abend suchen Edmond und Ranc in meinem Auftrag Henry in dessen Wohnung auf, die in der Avenue Duquesne gegenüber der École Militaire liegt, und überbringen ihm offiziell die Herausforderung. Hinterher erzählt Edmond mir davon. »Er war eindeutig zu Hause, wir haben seine Stiefel im Gang gesehen, und im Hintergrund hat ein kleiner Junge mit weinerlicher Stimme Papa gesagt, und dann hat eine Männerstimme pscht gemacht. Er hat seine Frau vorgeschickt. Sie hat den Brief entgegengenommen und gesagt, dass er morgen antworten würde. Ich habe das Gefühl, dass er einem Duell unbedingt aus dem Weg gehen will.«
Am Mittwoch den ganzen Tag über keine Antwort von Henry. Um acht Uhr abends klopft es dann an meiner Wohnungstür. Ich stehe auf, um aufzumachen. Aber anstatt der Sekundanten mit Henrys Antwort steht Desvernine im Gang. Er kommt nur kurz herein, ohne Hut oder Mantel abzulegen.
»Alles vorbereitet«, sagt er. »Unser Mann wartet in einer Pension, dem Hôtel de la Manche in der Rue de Sèvres. Er hat sich unter einem seiner Decknamen angemeldet, Koberty Dutrieux. Haben Sie eine Waffe, Herr Oberstleutnant?«
Ich öffne meine Jacke und zeige ihm das Schulterhalfter. Da mir meine Dienstwaffe abgenommen wurde, habe ich mir einen englischen Revolver gekauft, einen Webley.
»Gut«, sagt er. »Wir sollten gleich gehen.«
»Sofort?«
»Er bleibt
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