Intrige (German Edition)
meine Mutter aus Grundstücksverkäufen einhundertsiebzigtausend Francs erzielen würde und wir sein Hilfsangebot gern in Anspruch nähmen, um das Geld sicher anzulegen. Der Major bot uns daraufhin an, sich bei seinem engen Freund Edmond de Rothschild für uns zu verwenden. Und natürlich dachten wir: Bei dem Namen, was kann sicherer sein?«
Er nippt an seinem Tee, denkt kurz nach und fährt dann fort.
»Ein paar Monate lief alles gut. Er hat uns regelmäßig Briefe mit Schecks geschickt. Die Dividenden von dem Geld, das die Rothschilds in unserem Auftrag investiert haben, hat er behauptet. Im letzten November dann hat er mir ge schrieben, dass ich sofort nach Paris kommen solle, weil er in Schwierigkeiten stecke und dringend meine Hilfe brau che. Natürlich bin ich sofort gefahren. Er war ganz aufgelöst vor Angst. Er hat behauptet, dass man ihn bald öffentlich als Verräter verleumden werde, dass ich aber keine von den Geschichten glauben solle. Alles ein jüdisches Komplott, um ihn anstelle von Dreyfus zu beschuldigen, und er kann alles beweisen, weil er von Offizieren aus dem Kriegsministerium unterstützt wird. Er sagte, dass es inzwischen zu gefährlich für ihn sei, seinen wichtigsten Kontaktmann zu treffen, und ob ich mich an seiner Stelle mit ihm treffen könne, sozusagen als Nachrichtenkurier zwischen den beiden.«
»Und wer war dieser Kontaktmann?«, frage ich.
»Sein Name war Oberst du Paty de Clam.«
»Sie haben du Paty getroffen?«
»Ja, oft. Normalerweise abends, an öffentlichen Plätzen. Parks, Brücken, Toiletten.«
»Toiletten?«
»O ja. Der Oberst war immer sorgfältig verkleidet, dunkle Brillengläser, falscher Bart und dergleichen.«
»Und welche Art von Nachrichten waren das, die du Paty und Ihr Großcousin ausgetauscht haben?«
»Alles Erdenkliche. Warnungen davor, was möglicherweise bald in den Zeitungen auftauchen wird. Ratschläge, wie er darauf reagieren soll. Ich erinnere mich an einen Umschlag mit einem Geheimdokument vom Ministerium. Manchmal auch Nachrichten, bei denen es um Sie ging.«
»Um mich?«
»Ja, zwei Telegramme zum Beispiel. An die kann ich mich noch genau erinnern, weil die sehr merkwürdig waren.«
»Wissen Sie noch, was darin stand?«
»Ich weiß noch, dass eines mit Blanche unterzeichnet war. Das hat du Paty geschrieben. Das andere … irgendein ausländischer Name …«
»Speranza?«
»Genau, Speranza! Mademoiselle Pays, Major Esterházys Geliebte, hat das nach Vorgaben des Obersten geschrieben und dann zur Post in der Rue La Fayette gebracht.«
»Haben sie Ihnen gesagt, warum sie diese Telegramme geschrieben haben?«
»Um Sie in Misskredit zu bringen.«
»Und Sie haben ihnen geholfen, weil Sie Ihren Großcousin für unschuldig hielten.«
»Natürlich – zumindest damals.«
»Und jetzt?«
Christian denkt nach. Er trinkt einen Schluck Tee und stellt den Untersetzer mit der Tasse wieder auf den Tisch – mit langsamen, bedächtigen Bewegungen, die aber nicht ganz verbergen können, dass es in seinem Innern brodelt. »Als vor ein paar Wochen zum ersten Mal der monatliche Scheck ausblieb, habe ich mich bei den Rothschilds erkundigt. Es gibt kein Bankkonto. Hat nie eines gegeben. Meine Mutter ist ruiniert. Ich glaube, wenn ein Mann fähig ist, die eigene Familie auf diese Weise zu betrügen, dann verrät er auch ohne jedes Gewissen sein Land. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Man muss ihn aufhalten.«
•
Was mit dieser nun bewiesenen Information zu geschehen hat, liegt auf der Hand: Sie muss an Bertulus weitergegeben werden, den eleganten Richter mit der roten Nelke im Knopf loch, dessen gemächliche Ermittlungen in Sachen gefälschter Telegramme immer noch im Gange sind. Weil ich die Klage eingereicht habe, kommen wir überein, dass ich ihm schreibe und auf den wichtigen neuen Zeugen aufmerksam mache. Christian ist bereit auszusagen, ändert jedoch seine Meinung, als sein Großcousin herausfindet, dass er Labori getroffen hat, und entscheidet sich wieder um, als man ihn darauf hinweist, dass er in jedem Fall als Zeuge vorgeladen werden könne.
Esterházy, der sich offensichtlich der nahenden Katastrophe bewusst ist, erneuert seine Forderung nach einem Duell mit mir. Er lässt die Presse wissen, dass er die Straßen in der Nähe meiner Wohnung durchstreife, damit er mir seinen schweren Spazierstock aus rot lackiertem Kirschholz, den er immer bei sich trage, ins Gehirn rammen könne. Er bezeich net sich als Experten in der Kunst des Savate , des
Weitere Kostenlose Bücher