Intrige (German Edition)
von Arthur Ranc lehnt. Mit ausgestreckter Hand kommt er auf mich zu. Er mag schon hart auf die siebzig zugehen, aber sein Bart ist noch voll und schwarz, und die Augen hinter dem Kneifer leuchten neugierig. »Zu meiner Zeit habe ich jede Menge Duelle ausgefochten, mein Bester«, sagt er. »Und immer dran denken: In zwei Stunden sitzen Sie mit dem herrlichsten Heißhunger am Mittagstisch und genießen die Mahlzeit Ihres Lebens. Allein dafür lohnt sich so ein Duell!«
Ich werde dem Schiedsrichter vorgestellt, einem pensio nierten Feldwebel der Republikanischen Garde, und meinem ärztlichen Beistand, einem Krankenhausarzt. Wir warten schon fünfzehn Minuten, und unsere Unterhaltung wird zunehmend bemühter, als schließlich aufbrandender Jubel von der Straße Henrys Eintreffen anzeigt. Mit den beiden Obersten im Gefolge betritt er die Halle. Er würdigt uns keines Blickes, sondern marschiert schnurstracks auf den Tisch zu und zieht sich die Handschuhe aus. Dann nimmt er die Mütze ab, legt sie auf den Tisch und beginnt sich den Uniformrock aufzuknöpfen, als bereitete er sich auf einen medizinischen Eingriff vor, den er so schnell wie möglich hinter sich bringen wolle. Ich ziehe Jacke und Weste aus und gebe beides Edmond. Der Schiedsrichter zeichnet mit einem Stück Kreide eine dicke Linie auf den Steinboden, schreitet dann auf beiden Seiten eine bestimmte Entfernung ab, deren Endpunkte er jeweils mit einem Kreuz markiert. Dann ruft er uns zu sich. »Meine Herren«, sagt er. »Knöpfen Sie bitte Ihre Hemden auf.« Wir entblößen kurz unsere Brust, damit er überprüfen kann, dass wir keine Schutzkleidung tragen. Henrys Brust ist so rosa und haarlos wie die eines Schweins. Während er das Prozedere über sich ergehen lässt, schaut er auf seine Hände, auf den Boden, zu den Dachbalken – überallhin, nur nicht zu mir.
Unsere Waffen werden gewogen und vermessen. »Wenn einer von Ihnen, meine Herren, oder einer Ihrer Sekundanten verletzt wird, dann wird der Kampf unterbrochen, es sei denn, der Verletzte wünscht weiterzukämpfen«, erklärt der Feldwebel. »Nachdem die Verletzung untersucht worden ist, wird der Kampf fortgesetzt, falls der Verletzte dies wünscht.« Er gibt uns die Säbel. »Bereiten Sie sich vor.«
Ich dehne die Knie und führe einige Übungsstöße und Paraden aus und drehe mich dann zu Henry um, der etwa sechs Schritte entfernt steht und mich nun, endlich, anschaut. Ich sehe den Hass in seinen Augen. Ich weiß sofort, dass er versuchen wird, mich zu töten.
»En garde«, sagt der Feldwebel. Wir nehmen beide un sere Position ein. Er schaut auf seine Uhr, hebt seinen Stock und senkt ihn. »Allez!«
Henry stürmt sofort auf mich los und schlägt derart schnell und kraftvoll zu, dass es mir fast den Säbel aus der Hand reißt. Ich habe keine Wahl, als unter seinen wirbelnden Schlä gen zurückzuweichen und so gut ich kann, mehr instinktiv als überlegt, zu parieren. Meine Füße berühren sich, ich gerate ins Stolpern, und sein Säbel ritzt mir die Haut am Hals auf. Ranc und Edmond protestieren lautstark über diesen regel widrigen Hieb. Ich taumele bedrohlich nach hinten auf die Wand zu. Henry hat mich bestimmt schon zwanzig Schritte von meiner Markierung nach hinten getrieben. Ich ducke mich, weiche zur Seite aus und nehme immer wieder Verteidigungshaltung ein, aber er greift weiter an.
Ich höre, wie Ranc sich beim Schiedsrichter beschwert. »Oberstleutnant Henry«, ruft der Schiedsrichter. »Wir sind hier, um einen Streit unter Ehrenmännern beizulegen!« Aber ich sehe an Henrys Augen, dass er nichts hört als das Rauschen seines Bluts. Er attackiert mich wieder, und diesmal spüre ich die Klinge seines Säbels am Nackenmuskel. Seit dem Tag meiner Geburt war ich dem Tod noch nie so nahe. Ranc ruft genau in dem Augenblick halt, als ich Henry mit der Spitze meines Säbels am Unterarm erwische. Er schaut nach unten auf seinen Arm. Wir lassen beide unsere Waffen sinken, während die Sekundanten und die Ärzte auf uns zueilen. Der Feldwebel schaut auf die Uhr. »Die erste Bindung dauerte zwei Minuten.«
Mein Arzt zieht mich unter ein Oberlicht und dreht meinen Kopf, um den Hals zu untersuchen. »Alles in Ordnung«, sagt er. »Anscheinend hat er Sie um Haaresbreite verfehlt.«
Henry blutet am Unterarm, nichts Ernstes, nur ein Kratzer, aber für den Schiedsrichter Grund genug, ihn zu fragen, ob er die Fortsetzung des Kampfes wünscht. »Herr Oberstleutnant, Sie dürfen ablehnen.«
Henry schüttelt
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