Intrige (German Edition)
Kickboxens. Schließlich schickt er mir einen Brief, den er auch an die Zeitungen weitergibt:
Weil Sie sich vor einem ernsthaften Kampf mit mir aus Angst drücken, habe ich, wie Sie sehr wohl wissen, in den letzten Tagen nach Ihnen Ausschau gehalten. Vergeblich, Sie sind wie ein Feigling vor mir geflohen. Sagen Sie mir, wann und wo Sie es endlich wagen werden, sich mir von Angesicht zu Angesicht zu stellen, damit ich Ihnen die Züchtigung verabreichen kann, die ich Ihnen versprochen habe. Ich jedenfalls werde ab morgen an drei Abenden hintereinander ab sieben Uhr in der Rue de Lisbonne und der Rue de Naples spazieren gehen.
Da ich nicht den Wunsch hege, in direkten Kontakt mit so einer Kreatur zu treten, antworte ich nicht persönlich. Statt dessen lasse ich der Presse ebenfalls eine Erklärung zu kommen:
Es überrascht mich, dass Monsieur Esterházy nach mir sucht und mich dennoch nicht angetroffen hat, zumal ich mich ziemlich offen in der Stadt bewege. Was die in seinem Brief enthaltenen Drohungen angeht, so bin ich fest entschlossen, sollte ich in einen Hinterhalt geraten, das mir per Gesetz zustehende Bürgerrecht auf Selbstverteidigung wahrzunehmen. Dabei werde ich nicht vergessen, dass es meine Schuldigkeit ist, das Leben von Monsieur Esterházy zu achten. Der Mann gehört der Justiz unseres Staates überantwortet, und man würde mich mit Recht rügen, nähme ich seine Bestrafung selbst in die Hand.
Mehrere Wochen verstreichen, und ich halte schon nicht mehr nach ihm Ausschau. Doch dann, an einem Sonntagnachmittag Anfang Juli, am Tag bevor ich Bertulus Christians Zeugenaussage bringen soll, vertrete ich mir nach dem Mittagessen auf der Avenue Bugeaud die Beine, als ich hinter mir schnell näher kommende Schritte höre. Ich drehe mich um und sehe Esterházys roten Spazierstock auf mich niedersausen. Ich reiße einen Arm hoch, um mein Gesicht zu schützen, und ducke mich dann zur Seite weg, sodass der Hieb mich nur an der Schulter trifft. Esterházys Augen quellen wie Orgelregister aus seinem vor Wut verzerrten Gesicht. Während er mich mit Beleidigungen überschüttet – »Schuft! Feigling! Verräter!« –, steht er so dicht vor mir, dass ich den Absinth in seinem Atem riechen kann. Glücklicherweise habe ich selbst einen Spazierstock dabei. Mein erster Schlag reißt ihm die Melone vom Kopf, der zweite trifft ihn im Magen und schickt ihn zu seiner Melone in den Rinnstein. Er rollt sich auf die Seite, berappelt sich und kniet nach Luft japsend auf Händen und Knien auf dem Pflaster. Dann stützt er sich auf seinen lächerlichen roten Kirschholzstock und versucht sich aufzurichten. Einige Passanten sind stehen geblieben und gaffen. Ich nehme ihn in den Schwitzkasten und rufe, dass jemand die Polizei holen solle. Kaum überraschend gehen alle sofort weiter und lassen mich mit dem Verräter im Arm stehen. An so einem herrlichen Sonntagnachmittag haben die Flaneure Besseres zu tun. Der kräftige und drahtige Esterházy windet sich hin und her, und mir wird klar, dass ich ihn entweder loslassen oder härter anfassen muss, damit er Ruhe gibt. Ich lasse ihn los, trete einen Schritt zurück und behalte ihn misstrauisch im Auge.
»Schuft!«, schreit er wieder. »Feigling! Verräter!« Torkelnd versucht er seinen Hut aufzuheben. Er ist ziemlich betrunken.
»Sie wandern ins Gefängnis«, sage ich. »Wenn nicht wegen Landesverrats, dann wegen Fälschung oder Unterschlagung. Und kommen Sie mir nicht mehr zu nahe, sonst werde ich richtig ungemütlich.«
Ich spüre einen stechenden Schmerz in der Schulter und bin froh, dass ich weitergehen kann. Er versucht nicht, mir zu folgen. Aber sein lallendes Grölen kann ich noch lange hören. »Schuft! Feigling! Verräter! Jude! «
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Der zweite Vorfall in diesem Sommer ereignet sich vier Tage später.
Es ist Donnerstag, der 7 . Juli, und wie üblich an diesem Wochentag halte ich mich am frühen Abend in der neogoti schen Villa von Aline Ménard-Dorian auf. Um genau zu sein: Ich stehe vor Beginn des Konzerts noch im Garten, nippe an einem Glas Champagner und unterhalte mich mit Zola, dessen Revision gegen sein Urteil gerade an einem Gericht in Versailles verhandelt wird. Kürzlich ist eine neue Regierung gebildet worden, und wir diskutieren die möglichen Auswirkungen auf seinen Fall, als plötzlich Clemenceau mit Labori im Schlepptau und der Abendzeitung unter dem Arm auf der Terrasse auftaucht.
»Haben Sie schon gehört, was soeben passiert ist?«
»Nein.«
»Meine
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