Intrige (German Edition)
maskenhaftes Gesicht du Paty zu. »Bitte.«
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der sicherste Ort, an dem wir Dreyfus festnehmen können, innerhalb des Ministeriums selbst ist. General Gonse hat ihm schon ein Telegramm mit der Anweisung geschickt, morgen früh um neun Uhr zu einer Dienstinspektion in General Boisdeffres Büro zu erscheinen …«
»In Zivil«, warf Gonse ein. »Damit später, wenn er ins Gefängnis gebracht wird, niemand merkt, dass er ein Offizier der Armee ist.«
»… sodass wir ihn hier in der Rue Saint-Dominique verhaften können, im Büro des Generalstabschefs.«
»Was, wenn er eine Falle wittert?«, fragte Mercier.
»Dann kommt Major Picquart ins Spiel«, sagte du Paty.
Ich spürte, dass sich alle Augen auf mich richteten. Als wüsste ich genau, was mich erwartete, versuchte ich geradeaus zu schauen.
»Major Picquart war einer von Dreyfus’ Lehrern an der École Supérieure«, sagte Gonse zu Mercier. »Die Anwärter unterstehen seiner Aufsicht.«
»Das weiß ich.« Mercier sah mich durch seine Augen schlitze an. Man konnte unmöglich erraten, was er gerade dachte.
Du Paty fuhr fort, seinen Plan zu erläutern. »Ich schlage vor, dass Major Picquart Dreyfus um neun Uhr am Haupteingang in Empfang nimmt und ihn persönlich zu General Boisdeffres Büro begleitet. Dreyfus kennt ihn und vertraut ihm. Das sollte etwaiges Misstrauen seinerseits zerstreuen.«
Während der Minister darüber nachdachte, herrschte Stille.
»Was halten Sie von dem Plan, Major Picquart?«, fragte Mercier.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Hauptmann Dreyfus mich für eine besonders vertrauenswürdige Person hält«, sagte ich vorsichtig. »Aber wenn Oberst du Paty meine Anwesenheit für nützlich hält, dann werde ich natürlich mein Teil dazu beitragen.«
Merciers Augenschlitze richteten sich wieder auf du Paty. »Er ist jetzt also in General Boisdeffres Büro. Was machen wir dann mit ihm?«
»General Boisdeffre ist nicht anwesend …«
»Das hoffe ich doch sehr!«, warf Boisdeffre ein.
»… stattdessen begrüße ich Dreyfus, erkläre ihm, dass der Chef des Generalstabs sich verspäten werde, und biete ihm einen Platz an. Meine rechte Hand ist bandagiert – irgendeine Verletzung, sage ich. Dann frage ich Dreyfus, ob ich ihm einen Brief diktieren könne. Derart überrumpelt dürfte es ihm schwerfallen, seine Schrift zu verstellen. Habe ich erst einmal das stichhaltige Beweisstück in der Hand, gebe ich das Zeichen, und wir stellen ihn zur Rede.«
»Wen meinen Sie mit wir?«, fragte Mercier.
»Ebenfalls anwesend ist Kommissar Cochefort von der Sûreté mit einem seiner Männer.« Er zeigte auf Cochefort. »Außerdem Monsieur Gribelin, Archivar aus der Statistik-Abteilung, er wird jedes Wort protokollieren. Major Henry, ebenfalls aus der Statistik-Abteilung, hält sich hinter einem Wandschirm versteckt.«
»Das sind dann fünf gegen einen, richtig?«
»Genau, Herr Minister. Für uns sprechen die Überraschung und die Überzahl. Ich glaube, die Chancen stehen sehr gut, dass er zusammenbricht und auf der Stelle gesteht. Für diesen Fall möchte ich einen weiteren Vorschlag machen.«
»Bitte.«
»Dass wir ihm einen ehrenhaften Ausweg ermöglichen. Ich biete ihm einen Dienstrevolver mit einer einzigen Patrone an. Dann kann er die Sache an Ort und Stelle bereinigen.«
Während Mercier darüber nachdachte, herrschte wieder Stille. Dann neigte er den Kopf leicht zur Seite. »Gut, einverstanden.«
»Großer Gott!«, sagte Boisdeffre. »Ich wäre ihm dankbar, wenn er das nicht auf meinem Teppich erledigen würde. Das ist ein Aubusson.«
Dankbares Gelächter löste die Spannung. Nur Mercier lächelte nicht. »Und wenn er die traditionelle Methode ausschlägt, was dann?«
»Dann bringt Major Henry ihn ins Gefängnis Cherche-Midi«, sagte du Paty. »Cochefort und ich fahren zu Drey fus’ Wohnung und durchsuchen sie nach Beweisen. Ich werde seiner Frau dringend raten, über die Verhaftung zu schweigen, mit dem Argument, dass sie andernfalls die Lage ihres Mannes nur noch verschlimmern würde. Mit dem Gefängnisdirektor von Cherche-Midi ist abgesprochen, Dreyfus vierundzwanzig Stunden in Einzelhaft zu halten – keine Briefe, keine Besucher, keine Anwälte. Niemand wird wissen, wo er ist, nicht einmal der Kommandant der Pariser Garnison. Für den Rest der Welt wird Hauptmann Alfred Dreyfus vom Erdboden verschwunden sein.«
Nachdem er sein Meisterwerk präsentiert hatte, schloss du Paty die Aktenmappe und lehnte
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