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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Lauths Fähigkeiten. »Ich erinnere mich sehr gut.«
    Es war die erste Oktoberwoche 1 8 9 4 . Erste Gerüchte über einen Spion im Ministerium gingen um. Man hatte die Leiter der vier Abteilungen aufgefordert, die Handschrift von allen Offizieren aus ihrem Verantwortungsbereich zu überprüfen, ob eine davon mit der auf der Fotografie überein stimme. Sie wurden zur Geheimhaltung verpflichtet und durften nur ihre Stellvertreter informieren. Oberst Boucher übertrug die Aufgabe mir.
    Obwohl nur ein enger Kreis eingeweiht war, war es unvermeidlich, dass schon bald etwas durchsickern würde. Eine beklommene, Unheil verheißende Atmosphäre machte sich in der Rue Saint-Dominique breit. Das Problem war die Liste mit den fünf Stichpunkten, aus der wir alle nicht schlau wurden. Eine Mitteilung über die hydraulische Bremse des 1 2 0ers und der Entwurf der Schießvorschrift deuteten darauf hin, dass der Spion in der Artillerie saß. Aber der unter Punkt zwei erwähnte »neue Plan« war exakt der Ausdruck, den wir in der Dritten Abteilung für den überarbeiteten Mobilmachungsplan verwendeten. Natürlich wurde der neue Plan auch von den Kursbuch-Experten in der Vierten analysiert, der Spion konnte also auch da arbeiten. Andererseits stammte die Mitteilung über eine Veränderung der Artillerieformationen höchstwahrscheinlich aus der Ersten. Wohingegen am Plan zur Besetzung von Madagaskar die Geheimdienstoffiziere in der Zweiten gearbeitet hatten …
    Jeder verdächtigte jeden. Alte Affären wurden wieder ausgegraben und begutachtet, uralte Gerüchte und Fehden wurden wiederbelebt. Das Misstrauen lähmte das ganze Ministerium. Ich überprüfte die Handschrift von jedem Offizier auf unserer Liste, sogar die von Boucher, sogar meine. Ich fand keine Übereinstimmung.
    Und dann hatte jemand einen Geistesblitz – und zwar Oberst d’Aboville, der stellvertretende Leiter der Vierten. Wenn der Verräter Wissen aus allen vier Abteilungen anzapfen könne, sei dann die logische Folgerung nicht die, dass er erst kürzlich in allen vieren gearbeitet habe? Und so unwahrscheinlich es zu sein schien, es gab tatsächlich eine Gruppe von Offizieren, auf die genau das zutraf: die Anwärter von der École Supérieure de Guerre – die Praktikanten, die für ihre altgedienten Kameraden mehr oder weniger Fremde waren. Plötzlich lag es klar auf der Hand: Der Verräter war einer dieser Anwärter mit einer Vorgeschichte in der Artillerie.
    Unter den Praktikanten gab es acht Hauptleute mit Artillerie-Erfahrung, die in dieses Raster passten, aber nur einer von ihnen war Jude. Zudem ein Jude, dessen Französisch einen deutschen Akzent hatte, dessen Familie im Kaiserreich lebte und der mit Geld nur so um sich warf.
    »Kein Wunder, dass Sie sich an den Bordereau erinnern, Herr Oberstleutnant«, sagt Gribelin, auf dessen Lippen sich ein seltenes Lächeln zeigt. »So wie ich mich daran erinnere, dass Sie es waren, der uns die passende Handschriftenprobe von Dreyfus geliefert hat.«
    •
    Es war Oberst Boucher, der mir die Anfrage der Statistik-Abteilung überbrachte. Normalerweise war er ein lauter Mann mit einem fröhlichen, rot glänzenden Gesicht, das jedoch bei dieser Gelegenheit düster, sogar grau war. Es war ein Samstagmorgen, zwei Tage nachdem wir die Jagd nach dem Verräter aufgenommen hatten. Er schloss die Tür hinter sich. »Sieht ganz so aus, als wären wir dem Schweinehund schon dicht auf den Fersen«, sagte er.
    »Tatsächlich. Das ging schnell.«
    »General Gonse will etwas Handschriftliches von Hauptmann Dreyfus«, sagte er.
    »Dreyfus?« Ich war überrascht.
    Boucher erklärte mir d’Abovilles Hypothese. »Also haben sie beschlossen, dass der Verräter einer von Ihren Anwärtern sein muss«, beendete er seine Erläuterung
    »Einer von meinen Anwärtern?« Der Ton gefiel mir gar nicht!
    Ich hatte am Tag zuvor Dreyfus’ Akte durchgesehen und ihn als Verdächtigen ausgeschlossen. Jetzt holte ich den Ordner noch einmal hervor und verglich die Handschrift aus einigen seiner Briefe mit der im Bordereau. Auf den zweiten Blick, bei genauerer Betrachtung, gab es vielleicht Ähnlichkeiten: die gleichen kleinen Buchstaben, die gleiche Neigung nach rechts, ähnlich große Abstände zwischen den Wörtern wie auch zwischen den Zeilen … Ein schreckliches Gefühl der Gewissheit überkam mich. »Ich weiß nicht, Herr Oberst«, sagte ich. »Was meinen Sie?« Ich zeigte Boucher die Briefe.
    »Tja, ich bin ja auch kein Experte, aber für mich sehen

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