Intrige (German Edition)
Grund.«
»Nicht nötig, Herr Major, machen Sie sich meinetwegen keine Umstände …«
»Ach was, Unsinn, ich bestehe darauf.«
»Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten …«
»Kein Problem, ich habe jede Menge Zeit.«
Der Weg bis in die Dritte Abteilung kam mir endlos vor. Außer Banalitäten über das Wetter und seine Familie fiel mir nichts ein, worüber ich mit ihm hätte reden können. »Und wie geht’s Ihrer Frau, Herr Hauptmann?«
»Sehr gut, danke, Herr Major.«
»Haben Sie eigentlich Kinder? Tut mir leid, ich hab’s vergessen.«
»Ja, Herr Major, zwei.«
»Jungen, Mädchen?«
»Einen Jungen und ein Mädchen.«
»Und wie alt sind die beiden?«
»Pierre ist drei, Jeanne eineinhalb …«
Und so weiter und so weiter. Als wir endlich vor der Tür meines Büros standen, war ich erleichtert. »Wie wär’s, wenn Sie drinnen warten«, sagte ich. »Ich frage mal nach, was da los ist.«
»Danke, Herr Major.«
Er ging in mein Büro, und ich schloss die Tür. Ich schaute wieder auf die Uhr. Zehn vor neun. Wie ein Wach posten ging ich ein paar Minuten im Gang auf und ab, schaute immer wieder auf die geschlossene Bürotür, ver suchte die Zeit vorwärtszuzwingen und fragte mich, ob er vielleicht in diesem Augenblick aus dem Fenster kletterte und am Abflussrohr hinunterrutschte oder meinen Schreib tisch nach geheimen Dokumenten durchwühlte. Zwei Mi nuten vor neun ging ich schließlich wieder hinein. Mit der Melone auf den Knien saß er auf der Kante von einem der Stühle. Die Papiere auf meinem Schreibtisch waren unberührt. Es sah nicht so aus, als hätte er sich auch nur einen Zentimeter bewegt.
»Das hat alles seine Ordnung mit dem Telegramm«, sagte ich aufgekratzt. »Es findet tatsächlich eine Inspektion statt.«
»Da bin ich erleichtert!«, rief Dreyfus und stand auf. »Ich hatte wirklich geglaubt, dass die Jungs mir einen Streich spielen – wäre nicht das erste Mal.«
»Ich muss selbst noch mit dem General sprechen. Ich werde Sie begleiten.«
Wieder machten wir uns auf den Weg.
»Hoffentlich ergibt sich die Gelegenheit, dass ich mit General Boisdeffre sprechen kann«, sagte Dreyfus. »Im Sommer hatten wir eine wirklich interessante Unterhaltung über Artillerieformationen. Seitdem sind mir noch ein, zwei weitere Punkte eingefallen.« Ich schwieg. Dann sagte er: »Wissen Sie zufällig, wie lange diese Inspektion wohl dauert, Herr Major?«
»Leider nein.«
»Ich habe nämlich meiner Frau gesagt, dass ich zum Mittagessen wieder zu Hause bin. Na ja, ist eigentlich egal.«
Wir hatten inzwischen den breiten, hohen Durchgang erreicht, der zum Büro des Generalstabschefs führte.
»Es ist so still hier, finden Sie nicht auch?«, sagte Dreyfus. »Wo sind die alle?«
Wir gingen jetzt auf die Doppeltür zu. Sein Schritt verlangsamte sich. Ich wollte unbedingt, dass er weiterging.
»Ich glaube, die warten alle schon auf Sie«, sagte ich, drückte ihm sanft die Hand ins Kreuz und schob ihn vorwärts.
Wir erreichten die Tür. Ich öffnete und hielt sie ihm auf. Verdutzt schaute er mich an. »Kommen Sie nicht mit, Herr Major?«
»Pardon, aber mir ist gerade etwas eingefallen, was ich noch erledigen muss. Auf Wiedersehen.«
Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging. Ich hörte das Klicken eines Schlosses, und als ich mich umdrehte, war die Tür geschlossen und Dreyfus verschwunden.
•
»Wie war das damals eigentlich genau?«, sage ich zu Gribelin. »Nachdem ich Dreyfus an bewusstem Morgen bei Ihnen und Oberst du Paty abgeliefert habe, was genau ist danach passiert?«
»Ich verstehe nicht recht, was Sie meinen, Herr Oberstleutnant.«
»Sie waren doch als Zeuge dabei, oder?«
»Ja.«
»Also, wie ist das abgelaufen?« Der Archivar schaut mich an, während ich mir einen Stuhl heranziehe. »Verzeihen Sie, dass ich Sie das alles frage, Monsieur Gribelin. Ich versuche nur meine Wissenslücken aufzufüllen. Der Fall ist schließlich noch nicht abgeschlossen.« Ich deute auf den Stuhl mir gegenüber. »Setzen Sie sich doch einen Augenblick.«
»Wenn das so ist, Herr Oberstleutnant.« Als argwöhnte er, ich könnte ihn plötzlich anspringen, lässt Gribelin mich keine Sekunde aus den Augen, als er sich mit seinem knochendürren Körper auf den Stuhl setzt. »Was wollen Sie wissen?«
Ich zünde mir eine Zigarette an und ziehe mit großer Geste den Aschenbecher heran. »Wir wollen doch nicht, dass ein Funke den schönen Tisch beschädigt,« sage ich lächelnd, schwenke das Streichholz,
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