Intrige (German Edition)
gegen die Wand geschlagen hat.«
»Und er hat weiter jede Beteiligung an Spionage abgestritten?«
»Aber sicher. Das war ein ziemliches Schauspiel. Wer immer ihm das beigebracht hat, war ein sehr guter Lehrer.«
Ich blättere weiter durch den Ordner. Hiermit über sende ich Ihnen einige interessante Informationen … Hiermit übersende ich Ihnen einige interessante Informationen … Hiermit übersende ich Ihnen einige interessante Informationen … Die Handschrift verschludert mit jedem Tag mehr. Es ist wie das Protokoll aus einem Irrenhaus. Sogar in meinem Kopf beginnt sich schon alles zu drehen. Ich klappe den Ordner zu und schiebe ihn wieder über den Tisch.
»Faszinierend. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Gribelin.«
»Kann ich noch etwas für Sie tun, Herr Oberstleutnant?«
»Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls nicht im Augenblick.«
Er nimmt den Ordner behutsam vom Tisch, umfasst ihn mit beiden Armen und trägt ihn zurück zum Aktenschrank. An der Tür bleibe ich stehen und schaue mich noch einmal zu ihm um. »Haben Sie eigentlich Kinder, Monsieur Gribelin?«
»Nein, Herr Oberstleutnant.«
»Verheiratet?«
»Nein, Herr Oberstleutnant. Das war nie mit meiner Arbeit zu vereinbaren.«
»Verstehe. Dann gute Nacht.«
»Gute Nacht, Herr Oberstleutnant.«
Ich gehe langsam die Treppe hinunter in den ersten Stock, beschleunige meine Schritte, gehe über den Korridor zu meinem Büro, weiter ins Erdgeschoss, durchquere das Entree und trete hinaus in den Sonnenschein, wo ich tief durchatme und wieder klare, frische Luft in die Lunge pumpe.
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Ich schlafe kaum in dieser Nacht. Ich schwitze und wälze mich auf meinem schmalen Bett herum, bis das Laken so zerknautscht ist, dass ich das Gefühl habe, auf Steinen zu lie gen. Die offenen Fenster sorgen nicht für frische Luft, sondern lassen lediglich die Geräusche der Stadt ins Zimmer. In meiner Schlaflosigkeit zähle ich von Mitternacht bis sechs Uhr morgens das stündliche Läuten der Kirchenglocken. Schließlich schlafe ich doch noch ein, nur um eine halbe Stunde später von dem heiseren Hupen der ersten Straßenbahnen wieder geweckt zu werden. Ich ziehe mich an, gehe nach unten auf die Straße und weiter zur Bar an der Ecke zur Rue Copernic. Auf feste Nahrung habe ich keinen Appetit, ich will nur schwarzen Kaffee und eine Zigarette. Ich überfliege die Titelseite des Figaro. Ein Hochdruckgebiet vor der Südwestspitze Irlands nimmt Kurs auf die Britischen Inseln, Holland und Deutschland. Die Einzelheiten des bevorstehenden Zarenbesuchs in Paris sind immer noch nicht bekannt. Kriegsminister General Billot besucht Kavalleriemanöver im Gâtinais. Mit anderen Worten: keine Neuigkeiten in diesen Hundstagen des Augusts.
Als ich die Statistik-Abteilung betrete, ist Lauth schon in seinem Büro. Er trägt eine Lederschürze. Er hat vier Abzüge von jedem der beiden Esterházy-Briefe gemacht. Sie glänzen feucht und riechen noch nach dem chemischen Fixiermittel. Wie üblich hat er hervorragende Arbeit geleistet. Die Unterschrift und Adres se hat er verschwinden lassen, aber die Konturen der Handschrift sind scharf und leicht lesbar.
»Gute Arbeit«, sage ich. »Ich nehme die Abzüge mit – und die Originalbriefe, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Er steckt alles in einen Umschlag und gibt ihn mir. »Bitte sehr, Herr Oberstleutnant. Ich hoffe, sie helfen Ihnen weiter.« Seine blassblauen Augen schauen mich mit bohrendem Spanielblick an. Aber er hat mich schon einmal gefragt, was ich damit will, und ich habe ihm eine Antwort verweigert. Er wagt es nicht, noch einmal zu fragen.
Mit größtem Vergnügen ignoriere ich die unausgesprochene Frage, verabschiede mich mit einem gut gelaunten »Schönen Tag noch, Lauth« und gehe zurück in mein Büro. Ich nehme je einen Abzug der Briefe aus dem Umschlag und stecke sie in meine Aktentasche, die anderen wandern in den Tresor. Dann verlasse ich mein Büro wieder und schließe die Tür ab. Im Entree sage ich dem neuen Concierge Capiaux, dass ich nicht wisse, wann ich zurückkäme. Henry hat Capiaux, einen ehemaligen Kavalleristen, irgendwo aufgetan, und ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann. Mit seinen glasigen Augen und geplatzten Gesichtsäderchen kommt er mir wie einer von Henrys Trinkkumpanen vor.
Zu Fuß brauche ich zwanzig Minuten bis zur Île de la Cité, wo sich die Polizeipräfektur befindet, eine düstere Festung, die neben dem Pont Saint-Michel am Uferdamm aufragt. Das Gebäude ist die alte
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