Intrige (German Edition)
Mercier gemacht! Sie haben ihm gesagt, welche Strategie er verfolgen soll! Sie können jetzt nicht einfach aussteigen und sagen, mit alldem hätten Sie nichts zu tun gehabt. Was glauben Sie, weshalb Sie Chef der Statistik- Abteilung geworden sind?« Er öffnet die Tür. »Ach, übrigens«, ruft er mir hinterher. »Würden Sie wohl Blanche von mir grüßen? Ich glaube, sie ist immer noch nicht verheiratet, oder? Sagen Sie ihr, ich würde Sie schon ganz gern einmal besuchen. Aber Sie wissen ja, wie das ist. Meine Frau würde das bestimmt nicht gutheißen.«
Darauf fällt mir nichts ein, ich bin einfach zu wütend. Also lasse ich ihm – wie er da mit seinem Morgenmantel, den Haus schuhen, dem Fes und seinem unerträglichen Lächeln in der Tür steht – die Genugtuung des letzten Wortes und die Illusion, er sei ein scharfsinniger Kerl.
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Während ich langsam zum Büro zurückgehe, denke ich über das nach, was du Paty gerade gesagt hat.
Reden so die Leute über mich – dass ich Merciers Laufbursche war? Dass ich meinen Posten bekommen habe, weil ich ihm erzählt habe, was er hören wollte?
Ich komme mir vor, als hätte ich einen verspiegelten Raum betreten und würde mich nun zum ersten Mal aus einem ungewohnten Blickwinkel sehen. Sehe ich wirklich so aus? Bin das ich?
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Zwei Monate nach Dreyfus’ Verhaftung, Mitte Dezember 1 89 4 , bestellte General Mercier mich in sein Büro. Worum es ging, wurde mir nicht gesagt. Ich nahm an, es müsse mit der Dreyfus-Affäre zu tun haben und dass auch andere Personen anwesend sein würden. Beim ersten Punkt lag ich richtig, beim zweiten falsch. Diesmal empfing Mercier mich allein.
Er saß an seinem Schreibtisch. Im Kamin knisterte ein schwaches Feuer aus bräunlichen Kohlen. Sechs Wochen vor her, Anfang November, waren die nackten Tatsachen über Dreyfus’ Verhaftung an die Presse durchgesickert: Hochverrat. Verhaftung des jüdischen Offiziers A. Dreyfus. Die Menschen warteten gierig auf Nachrichten darüber, was er sich hatte zuschulden kommen lassen und was die Regierung mit ihm vorhatte. Ich war selbst neugierig. Mercier bot mir einen Stuhl an und spielte dann sein Lieblingsspiel: mich warten zu lassen, während er sich über irgendein Dokument beugte und Anmerkungen an den Rand kritzelte und mir dabei ausgiebig Gelegenheit bot, die kurz geschorenen, schütteren Haare auf seinem schmalen Schädel zu betrachten und darüber nachzusinnen, welche Intrigen und Geheimnisse sich wohl darunter verbargen. Schließlich legte er den Stift zur Seite. »Also, nur noch einmal zur Sicherheit: Seit seiner Verhaftung waren Sie in keiner Weise an den Ermittlungen gegen Dreyfus beteiligt, richtig?«
»Richtig, Herr Minister.«
»Und Sie haben weder mit Oberst du Paty noch Oberst Sandherr oder Major Henry über den Fall gesprochen?«
»So ist es.«
In der folgenden Pause schaute mich Mercier durch seine Augenschlitze scharf an. »Ich höre, Sie sind literarisch interessiert.«
Ich zögerte. So ein Eingeständnis konnte einen die Beförderung kosten. »In gewissem Maße, ja. Privat, Herr General. Ich interessiere mich für alle Arten von Kunst, das stimmt.«
»Kein Grund, sich dessen zu schämen, Herr Major. Ich brauche ganz einfach jemand, der einen Bericht für mich schreiben kann, der mehr enthält als nur die nackten Tatsachen. Können Sie das?«
»Ich hoffe schon. Das hängt natürlich davon ab, worum es geht.«
»Erinnern Sie sich noch daran, was Sie in diesem Büro kurz vor Dreyfus’ Verhaftung gesagt haben?«
»Ich bin mir nicht sicher, was Sie meinen, Herr General.«
»Sie wollten von Oberst du Paty wissen, was geschehen würde, wenn Dreyfus nicht gesteht. Ich habe mir das damals notiert. Das war eine gute Frage. Was passiert, wenn Dreyfus nicht gesteht? Oberst du Paty hat uns versichert, dass dieser Fall nicht eintreten würde. Aber jetzt stellt sich heraus, dass er es doch nicht getan hat, obwohl er schon seit zwei Monaten in Haft ist. Im Vertrauen, Herr Major, ich sehe mich getäuscht.«
»Das kann ich verstehen.« Armer alter du Paty, dachte ich. Es fiel mir schwer, keine Miene zu verziehen.
»Nächste Woche muss sich Hauptmann Dreyfus vor dem Kriegsgericht verantworten, und dieselben Leute, die mir versichert haben, dass er gestehen würde, versprechen mir mit der gleichen Bestimmtheit, dass er schuldig gesprochen wird. Aber inzwischen bin ich vorsichtiger geworden, verstehen Sie?«
»Durchaus.«
»Die Regierung wird bei lebendigem Leib geröstet, wenn
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