Intrusion
lässt?«
»Ja.«
»Auch nicht eingrenzen? Oder abschwächen?«
»Ich hielt es anfangs für möglich. Schließlich ist auch dein wahres Ich sicher in deinem Innern verwahrt. Konzentriert und widerwärtig, aber auf engstem Raum zusammengedrängt. Einst warst du wie die ganz normalen Männer, die durch irgendeinen Auslöser zu Mördern wurden und später nicht begriffen, was sie getan hatten. Du warst wie die Kinder, die aus reiner Neugier ihr Lieblingstier quälten. Du warst wie die verwirrten Mütter, die ihre eigenen Babys erstickten …«
Er schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht, doch gleich darauf hatte er sich wieder in der Gewalt und trat einen Schritt zurück, staunend über die Heftigkeit seines Zornausbruchs, als beobachtete er einen Fremden. »Wenn es sich nicht aufhalten lässt«, sagte er, »sind wir dann dem Untergang geweiht?«
»Das waren wir von Anfang an«, entgegnete sie und rieb sich die Wange. »Aber jetzt hat unser Untergang Gestalt angenommen und rückt näher. Das ist alles.«
Slythe ging auf und ab. »Kann er ihn aufhalten?«
»Wer?«
»Aden.«
Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Nein. Aber wenn jemand dazu in der Lage gewesen wäre, dann er. Und er hätte es durch Zufall geschafft. Er ist kein Held. Ich rate dir, such ihn und hilf ihm, wenn dir etwas an ihm liegt. Wenn nicht, genießt du heute vielleicht zum letzten Mal das Vergnügen, jemanden zu töten. Warum nicht hier beginnen? Ich bin ehrlich neugierig.«
»Ich kenne die Antwort darauf ebenso wenig wie du«, fauchte er und stolzierte davon.
KAPITEL 18
Der Prophet des Blutvergießens
Auf einem Opferstein lag Corbert neben der nebelweißen Kugel. Darin wartete Sivanas auf seine Chance, ins Leben zurückzukehren. Kevas hatte stundenlang gebraucht, um die Kugel von ihrer Säule loszumeißeln, und noch länger, bis er die verworrenen Anweisungen mit den verbotenen Ritualen gefunden hatte, jene Formeln, die einem eingesperrten Geist Macht über einen Empfänger wie Corbert gaben.
Kevas wanderte nervös umher. Sein Knie schmerzte, und sein Humpeln hatte sich verschlimmert. Er hatte nicht geschlafen und war so müde, dass wenig Raum für die Zweifel blieb, die ihn andernfalls gequält hätten, weil er dem Propheten des Blutvergießens zu einem neuen Körper und einer neuen Stimme verhalf. Die Skepsis, die blieb, hörte sich so an: Es könnte schiefgehen, natürlich könnte es das. Aber es ist in Einklang mit den Lehren: Sivanas wählte seine Rolle, vollbrachte eine heilige Tat, erschuf die Geschichte, sorgte für Bewegung. ER beobachtete damals, was geschah, und vielleicht tut ER das auch jetzt wieder. ER wird mich sehen, wird wissen, ob mein Handeln gut oder böse ist. Es liegt nicht an uns, die Ästhetik des Ganzen zu beurteilen. Meine Taten werden sich irgendwie in seinen Plan fügen. Das müssen sie, sonst würde ich diesen Weg nicht einschlagen.
Er wandte sich an Corbert: »Bist du sicher, dass du dich auf diese Weise hingeben willst? Ist dir klar, dass …« Er unterbrach sich mitten im Satz. Er hatte sagen wollen: Ist dir klar, dass Sivanas von deinem Körper Besitz ergreifen wird? Dass du nach diesem Ritual sein Gefangener sein und miterleben wirst … was immer er tut? Hilflos. Nicht in der Lage einzugreifen. »Ist dir klar, dass du mir diesen Dienst für eine unbegrenzte Zeit erweisen musst?«
»Ich habe in zwanzig Jahren noch keinen einzigen Tag krankgemacht«, entgegnete Corbert gelassen, die Blicke zur Decke gerichtet. »Keinen einzigen Tag. Diese neue Arbeit erscheint mir etwas einfacher als mein … früherer Auftrag. Ich bitte nur, dass meinem Sohn eine harte Strafe erspart bleibt, wenn er das nächste Mal bei einem … Abenteuer erwischt wird. Und das wird er vermutlich.«
»Die Bitte sei dir gewährt, innerhalb vernünftiger Grenzen. Nun trink dies hier und schlafe!« Er reichte Corbert einen Becher. Corbert leerte ihn und verlor kurz darauf das Bewusstsein.
Kevas humpelte im Raum umher, schwenkte ein brennendes Weihrauchstäbchen und stimmte den Gesang an, dessen Worte Sivanas ihm eingeschärft hatte. Mit einem Dolch ritzte er zwei kleine Schnitte in Corberts entsetzlich vernarbte Brust. Er goss Wein aus dem geweihten Schädel-Anhänger um seinen Hals in die Wunden, begann eine neue Litanei, verhaspelte sich und musste noch einmal von vorn beginnen.
Sobald er fertig war, nahm Kevas die Glaskugel in beide Hände. Ohne auch nur einen Moment zu zaudern oder zu stocken, schleuderte er sie auf den
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