Invasion 02 - Der Angriff
als sie noch Erbfeinde gewesen waren. Diese Festungsanlagen, in denen Millionen von Mannstunden an Arbeit steckten, waren von der ersten Angriffswelle praktisch atomisiert worden. Festungen, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg tagelang konventionellem Artilleriebeschuss standgehalten hatten, waren von zwanzig Kilotonnen kinetischer Energiewaffen wie Konservendosen aufgefetzt worden. Die Verteidigungszentren wiederherzustellen würde ein göttliches Wunder erfordern. China und Indien hatten ihre noch nicht ganz fertig gestellten Festungsanlagen mit ähnlichem Ergebnis gegen die Invasionstruppen eingesetzt. Nach einem Tag war mehr als die Hälfte der in Bau befindlichen planetarischen Verteidigungszentren völlig vernichtet worden. Von den »Primären Mächten« hatten sich nur die Vereinigten Staaten und Japan zurückgehalten und die Verteidigungszentren nicht eingesetzt.
Jetzt war geplant, die Kontrolle etwas zu lockern. Wenn Posleen-Landungsfahrzeuge ihre Antigravitationssysteme einschalteten, entstand dabei Strahlung, die man orten konnte. Das Kommandozentrum der Festung, das sich im untersten Geschoss befand und deshalb bereits fertig gestellt war, registrierte die Strahlungen des aufsteigenden Landungsschiffes sofort.
»Landungsschiff steigt auf, Westmoreland County, Virginia«, tönte eine Technikerin, die die Bildschirme beobachtete. Das letzte Kästchen des Formulars blinkte und verlosch dann. »Dem Bildschirm nach ist es ein Standard-Lander, kein Kommandoschiff.«
»Roger«, bestätigte der Einsatzleiter, ein Colonel. Er gab die Information an Continental Army Command weiter und erbat Angriffserlaubnis. Die Antwort war in den Computern bereits vorbereitet und kam deshalb fast unverzüglich. »Waffenfreigabe. Ich wiederhole: Waffen freigegeben.«
Das 100-mm-Gravgeschütz war vollautomatisch und brauchte keine Bedienungsmannschaft. Allerdings gab es eine dreiköpfige Crew, die bei mechanischen Defekten eingreifen oder das Geschütz bei einem Ausfall der zentralen Feuerkontrolle auch von Hand bedienen konnte. Der Beschaffungsauftrag hatte mit Nachdruck für den Notfall ein »lokales« Kontrollsystem verlangt, was den meisten Fachleuten als etwa so überflüssig wie ein Kropf erschienen war. Falls die zentrale Kontrolle ausfiel, würde es reine Glückssache sein, das Geschütz aufs Ziel zu richten.
Das Waffensystem wirkte wie Hohn auf die herkömmlichen Gepflogenheiten der Artillerie, was ja in Anbetracht der Tatsache, dass es gegen Weltraumkreuzer und nicht etwa zerbrechliche Flugzeuge eingesetzt werden sollte, kein Wunder war. Anstelle von Zahnradsystemen zur Zielregulierung verbogen sich die Stützsysteme wie Schlangen, so dass einem beim Zusehen beinahe übel wurde. Die Streben dienten ohnehin nur dazu, das System gegen die Schwerkraft zu schützen; das Gravsystem selbst arbeitete rückstoßfrei.
Darüber hinaus verfeuerte das Geschütz nicht etwa wie konventionelle Flugabwehrkanonen Explosivgranaten, sondern einzelne, frei fliegende Stangen aus abgereichertem Uran, die in dem zwanzig Meter langen Rohr auf ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden. Diese zwei Meter langen, einhundert Millimeter durchmessenden Stangen durchschlugen ein Kommandoschiff beim Auftreffen. Neben der gewaltigen kinetischen Explosion, die bei einem derartigen Aufprall entstand, bauten die Stangen beim Passieren der Atmosphäre vor sich eine stehende relativistische Welle auf, durch die ein Schwall von Gamma- und Röntgenstrahlung erzeugt wurde, der die Insassen der Schiffe praktisch kochte.
Anstatt neun solcher Waffensysteme stand nun allerdings nur ein einziges Geschütz zur Verfügung. Und anstelle in einer Festung von Stahl- und Betonmassen mit konzentrischen Schotten geschützt zu sein, stand es praktisch unter freiem Himmel. Sowohl die gepanzerte äußere Pforte, die die Batterie vor Treffern auf die Außenwände der Festung hätte schützen sollen, wie auch die gepanzerte innere Pforte, die es vor inneren Explosionen hätte schützen sollen, fehlten.
Im Grunde genommen waren sie völlig nackt.
Und deshalb fand die dreiköpfige Crew, als das Geschütz nach Südosten schwenkte, dass es bessere Aufenthaltsorte für sie gab. Der Letzte, der noch draußen war, schnappte sich den Helm für seinen Schutzanzug und rannte dann hinter den anderen her. Ohne Helm würde die massive Strahlung, die gleich hier entstehen würde, sein Gehirn kochen.
Im Augenblick war das Landungsschiff noch unter dem Horizont. Aber die
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