Invasion aus dem Jenseits (German Edition)
kann man einfach verschwinden, hatte er sich immer gewundert – hier war es möglich, und das bereitete ihm mehr Unbehagen als eine mögliche Gefahr an sich. Er wollte nicht einfach verschwinden, als hätte es ihn nie gegeben.
Mit jeder Stufe, die er seine Füße tiefer setzte, wurde das Licht heller. Die Kratzgeräusche wurden lauter. Und jetzt sah er auch einen jener charakteristischen Rundbögen, die in den Treppenschächten in weitere Gänge füh rten. Fünf, sechs Stufen noch. Durch den Rundbogen schien das Licht hell und klar.
Das Geräusch war nun unverkennbar einzuordnen: Jemand rammte einen Spaten oder eine Schaufel in festen Untergrund, löste Dreck und Steine damit, eine Sekunde Stille, dann wurde die Schaufel voll Dreck irgendwo abgeschü ttet. Und wieder in den Boden gerammt.
Benno drückte sich an die Außenwand des Treppenschachtes, t astete sich die letzten Stufen seitwärts hinab, bis er, fest an die Wand gepresst, am Rundbogen zum Kellerraum stand. Er atmete milliliterweise. Ein Schweißtropfen lief ihm an der Schläfe entlang über die Backe und tropfte in den Halsausschnitt.
Er war sich seiner Situation bewusst. Wer immer hier nach Mitternacht grub, er tat es heimlich, ganz sicher ohne Wissen des Barons, also illegal, und derj enige – oder dasjenige – würde angreifen, wenn er oder es sich beobachtet und erkannt wusste. Um was auch immer es ging, es war gefährlich, den Kopf in den anderen Raum zu stecken und das Geheimnis zu lüften. Lebensgefährlich. Aber es war auch unmöglich, es nicht zu tun.
Er tat es.
Noch immer fest an die Wand gepresst, ließ er seinen Kopf mit einem Auge über die Kante des Torbogens wandern und sah jemanden graben. Es war ein Er. Dieser Er stand halb mit dem Rücken zum Treppenschacht und tat genau das, was Benno gehört hatte, er rammte eine Schaufel in den festen, steinigen Untergrund, füllte sie, hob sie herum und kippte sie neben dem entstehenden Loch auf einem flachen Dreckhaufen ab. Neben Loch und Haufen lag eine Spitzhacke. Benno zog den Kopf zurück.
Er kannte diesen Mann.
Es war nicht der geheimnisvolle Fremde, den er am Tag zuvor in einem der anderen Keller getroffen hatte.
Es war sein beruflicher Intimfeind Maurice Müller.
Benno überlegte, was er nun tun sollte. Gehen, es auf sich beruhen lassen? Ihn gleich ansprechen? Ihn am nächsten Tag ansprechen? Seltsam – allein die Tatsache, dass es kein völlig Fremder war, der hier wer weiß was trieb, ließ Benno aufatmen. Man konnte sich nicht leiden, aber tat sich nicht weh, weil man sich persönlich kannte, oder?
Und wenn es doch dazu käme, sich weh zu tun, wer wäre wohl der U nterlegene? Maurice hatte unter seiner Jeansjacke die kompakte Figur eines Ringkämpfers. Man sah ihm seine Kraft bei jeder Bewegung an. Benno selbst hatte noch nie in seinem Leben Sport getrieben, hatte zehn Kilo Übergewicht und war schon auf dem Weg hierher außer Atem gekommen.
In seine Überlegungen hinein, gerade, bevor er sich davonschleichen wollte, machte es erschreckend laut „Pling“.
Tief in die Gewölbe hinein, hinunter in den Bauch der Erde unter die Millionentonnenlast des Schlosses hatte sich eine SMS von Cora verirrt. Die Grabgeräusche verstummten augenblicklich.
Benno rannte los.
Genug der Erwägungen – sein Instinkt sagte ihm: Flieh!
Den ersten Satz machte er wie ein Frosch, die nächsten Stufen nahm er wie ein Hundertmeterläufer. Dicht hinter sich hörte er Maurice in den Treppenschacht rennen. Es trennte sie höchstens eine Spiralrunde.
Maurice konnte ihn nicht sehen, wusste also nicht, wem er da folgte, er konnte es höchstens ahnen. Die Tatsache, dass er ihm so entschlossen nachsetzte, sprach dafür, dass er es wusste. Endlich konnte er diesem schnüffelnden Reporterschwein an die Gurgel g ehen. Das Grab war schon geschaufelt.
Raus, nichts wie raus. Benno ließ seine Beine rennen, so schnell es ging. Bloß nicht stra ucheln, bloß nicht fallen!
Er begriff, dass er in der schlechteren Position war, in jeder Hinsicht. Nicht nur, dass Maurice sich in den Gewölben auskan nte. Nicht nur, dass er ihm körperlich deutlich überlegen war. Er kam von hinten. Benno konnte sich nicht umdrehen, sonst würde er stolpern oder wo gegen rennen. Er war dem Feind hinter sich blind ausgeliefert.
Es war unmöglich, aus dem Gemisch hastender Laufschritte he rauszuhören, ob der Verfolger zurückfiel, gleichauf blieb oder aufholte. Der Ausgang des nächsthöheren Kellergewölbes kam in
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