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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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würde, aber dann – die Vorsehung möge den unseligen Wicht behüten – müßte er anschließend die verfluchte Unterhaltung mit Euch durchstehen. Uch!«
     
    Ich glaube, danach gab es während unseres Aufenthalts im Palast von Yvenir nur noch einen Vorfall, der des Berichtens wert ist. Ich erfuhr davon erst später, einige Zeit nach unserer Rückkehr nach Haspide, als die Nachricht von den laufenden Ereignissen in beträchtlichem Maße überschattet wurde.
    Meister, die Ärztin unternahm, wie gesagt, häufig allein Wanderungen oder Ausritte in den Bergen; manchmal brach sie bereits im Morgengrauen von Xamis auf und blieb bis zum Untergang aus. Dies hielt ich ebenso für ein exzentrisches Verhalten wie alle anderen, und selbst wenn die Ärztin so vernünftig war, mich um meine Gesellschaft zu bitten, erstaunten mich ihre Beweggründe. Die Wanderungen waren das absonderlichste. Sie marschierte Stunde um Stunde, wie irgendein Bauer. Sie nahm kleine und nicht so kleine Bücher mit, die sie für viel Geld in Haspide gekauft hatte und die mit Zeichnungen und Gemälden und Beschreibungen der einheimischen Flora und Fauna der betreffenden Gegend gefüllt waren, und sie pflegte sehr genau die Vögel und kleinen Tiere zu beobachten, die unseren Weg kreuzten; ja, sie beobachtete sie mit einer Eindringlichkeit, die unnatürlich erschien, wenn man davon ausging, daß sie nicht die Absicht hatte, sie zu jagen.
    Die Ausritte waren weniger nervenaufreibend, obwohl ich glaube, daß sie nur dann auf ein Reittier zurückgriff, wenn die Strecke, die sie sich vorgenommen hatte, zu lang war, um sie zu Fuß zurückzulegen (sie blieb niemals über Nacht aus).
    Trotz all meiner Verständnislosigkeit für diese Ausflüge und meinem Ärger darüber, den ganzen Tag zu Fuß marschieren zu müssen, gewann ich allmählich Spaß daran. Von mir wurde erwartet, an der Seite der Ärztin zu sein, sowohl von ihr selbst als auch von meinem Meister, deshalb hatte ich keinerlei Schuldgefühl, weil ich vielleicht etwas anderes als meine Pflicht getan hätte.
    Wir wanderten oder ritten schweigend oder sprachen von Nebensächlichkeiten oder über Medizin oder Philosophie oder Geschichte oder über hundert andere Themen, wir hielten an, um zu essen oder ein Tier zu beobachten oder eine schöne Aussicht zu genießen, wir nahmen die Bücher zur Hand und versuchten zu entscheiden, ob die Tiere, die wir sahen, die beschriebenen waren oder ob der Buchautor seiner Phantasie zuviel Spielraum gelassen hatte, wir versuchten, die groben Landkarten zu entziffern, die die Ärztin von jenen in der Bücherei abgekupfert hatte, wir hielten Waldarbeiter und Knechte an, um nach dem Weg zu fragen, wir sammelten Federn, Blumen, kleine Steine und Muscheln und Eierschalen und kehrten schließlich in die Gefilde des Palastes zurück, ohne etwas wirklich Bedeutendes getan zu haben, dennoch war mein Herz erfüllt von Freude, und mein Kopf schwirrte vor einer Art wildem Entzücken.
    Bald wünschte ich mir, daß sie mich zu jedem Ausflug mitnehmen würde, und erst nach unserer Rückkehr nach Haspide verspürte ich den sehnsüchtigen Wunsch, ich hätte etwas getan, an das ich oft gedacht hatte, als wir in Yvenir waren und die Ärztin ihre einsamen Ausflüge unternahm. Was ich mir wünschte, ich hätte es getan, war, ihr zu folgen. Ich wünschte, ich hätte ihre Spur aufgenommen, wäre ihr nachgegangen und hätte sie insgeheim beobachtet.
    Was mir später, nach einigen Monaten in Haspide zu Ohren kam, war die Tatsache, daß zwei meiner Kollegen im Palastnachwuchs ihr zufällig begegnet waren, als sie allein war. Es handelte sich um Auomst und Puomiel, Pagen des Barons Sermil beziehungsweise des Prinzen Khres; Kollegen, die ich nur oberflächlich kannte und die ich, um die Wahrheit zu sagen, kein bißchen leiden konnte. Sie standen im Ruf, Raufbolde, Betrüger und Unholde zu sein, und gewiß prahlten beide mit den Köpfen, die sie zusammengeschlagen, den Dienern, die sie beim Kartenspiel hereingelegt, und den Erfolgen, die sie bei den Mädchen der Stadt erzielt hatten. Von Puomiel ging das Gerücht, daß er einen Neuling unter den Pagen ein Jahr zuvor beinahe totgeschlagen habe, nachdem der junge Kerl sich bei seinem Herrn darüber beschwert hatte, daß der ältere Page Geld von ihm erpreßte. Es war nicht einmal ein gerechter Kampf gewesen. Der Junge war von hinten angesprungen und bewußtlos geschlagen worden. In seiner Unverfrorenheit leugnete Puomiel diesen Umstand nicht einmal

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