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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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flachdrückte.
    »Da gab es mal einen Mann namens Narajist«, erzählte der Junge und leckte sich dabei den Puderzucker von den Fingern.
    »Naharajast«, berichtigte DeWar. Die Dame Perrund bedeutete ihm mit einer Handbewegung, zu schweigen.
    »Der durch eine Röhre zum Himmel hinaufblickte und dem Kaiser sagte…« Lattens richtete den Blick zur Decke und spähte hinauf zu den drei schimmernden Porzellankuppeln, die den Raum erhellten. »Poeslied…«
    »Puizid«, murmelte DeWar. Die Dame Perrund runzelte ernst die Stirn und ermahnte ihn mit einem ›Ttttt‹.
    »…da waren großen feurige Steine da droben und…
    Paß auf!« Der Junge war aufgestanden und hatte die letzten beiden Worte laut gebrüllt, jetzt setzte er sich wieder und beugte sich über die Dose mit den Süßigkeiten, einen Finger an die Lippen gelegt. »Und der Kaiser paßte nicht auf, und die Steinen machten ihn tot.«
    »Nun ja, das ist ein wenig vereinfacht…«, setzte DeWar an.
    »Was für eine traurige Geschichte!« sagte die Dame Perrund und zauste dem Jungen das Haar. »Der arme alte Kaiser!«
    »Ja.« Der Junge zuckte die Achseln. »Aber Papa kam daher und brachte alles wieder in Ordnung.«
    Die drei Erwachsenen sahen einander an und lachten. »Allerdings tat er das«, sagte die Dame Perrund; sie nahm die Dose mit den Süßigkeiten weg und versteckte sie hinter ihrem Rücken. »Tassasen ist wieder mächtig, nicht wahr?«
    »Mm-hmm«, sagte Lattens, der versuchte, sich hinter Perrund zu winden und an die Dose zu gelangen.
    »Ich denke, es ist Zeit für eine Geschichte«, sagte die Dame Perrund und zog den Jungen in eine gerade Sitzstellung. »DeWar?«
    DeWar saß da und überlegte eine Weile. »Na ja, es ist keine großartige Geschichte, aber es ist eine besondere Geschichte.«
    »Dann erzählt sie.«
    »Ist sie für den Jungen passend?« wollte Huesse wissen.
    »Ich werde sie passend machen.« DeWar rutschte auf seinem Sitz nach vorn und verlagerte Schwert und Dolch. »Es war einmal ein Zauberland, wo jeder Mann ein König und jede Frau eine Königin war, jeder Junge ein Prinz und jedes Mädchen eine Prinzessin. In diesem Land gab es keine hungrigen und keine verkrüppelten Leute.«
    »Gab es arme Leute?« fragte Lattens.
    »Das hängt davon ab, was du meinst. In gewisser Weise nein, denn jeder konnte über soviel Reichtum verfügen, wie er wollte, aber in gewisser Weise auch ja, denn es gab Leute, die sich dafür entschieden, nichts zu haben. Ihr Herzenswunsch war es, frei von jedem Besitz zu sein, und im allgemeinen zogen sie es vor, in der Wüste oder in den Bergen oder den Wäldern zu leben, wo sie in Höhlen oder in den Bäumen wohnten oder einfach herumwanderten. Einige lebten in den großen Städten, wo sie ebenfalls einfach nur so herumzogen. Aber wohin sie auch wanderten, es war stets ihre eigene Entscheidung.«
    »Waren das heilige Leute?« fragte Lattens.
    »Nun ja, man könnte sie so nennen.«
    »Waren sie auch alle wohlgebaut und schön?« fragte Huesse.
    »Das hängt wiederum davon ab, was Ihr unter schön versteht«, sagte DeWar entschuldigend. Die Dame Perrund seufzte ärgerlich. »Manche Leute sehen eine Art Schönheit in der Häßlichkeit«, sagte DeWar. »Und wenn alle schön sind, dann hat es etwas Einzigartiges, häßlich zu sein, oder einfach nur durchschnittlich. Aber, ja, im großen und ganzen war jeder so schön, wie er sein wollte.«
    »Also viel Wenn und Aber«, sagte die Dame Perrund. »Das hört sich nach einem sehr fragwürdigen Land an.«
    »In gewisser Weise.« DeWar lächelte. Die Dame Perrund schlug ihn spielerisch mit einem Kissen. »Irgendwann einmal«, fuhr DeWar fort, »als die Leute dieses Landes andere Gegenden erkundeten…«
    »Wie hieß das Land?« unterbrach Lattens ihn.
    »Oh – Felizien natürlich. Jedenfalls entdeckten die Bürger von Felizien ganze Gruppen von Leuten, die so ähnlich lebten wie die Wanderer, also wie die armen – oder heiligen – Leute in ihrem eigenen Land, die jedoch keine andere Wahl hatten, als so zu leben. Diese Leute lebten so, weil sie es mußten. Das waren Leute, die nicht die Vorteile im Leben hatten, an die die Leute von Felizien gewöhnt waren. Tatsächlich wurde der Umgang mit solchen Leuten bald zum größten Problem, das die Leute von Felizien hatten.«
    »Was? Sie hatten keine Kriege, Hungersnöte, Seuchen, Steuern?« fragte Perrund.
    »Keine. Und die Wahrscheinlichkeit für die letzteren drei war sehr gering.«
    »Ich merke, daß meine Bereitschaft zu

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