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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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hatte, sie von der Krankheit genesen zu lassen, vielleicht doch noch nicht sterben sollte. Jedenfalls hatte sie irgendwie das Gefühl, daß das Schlimmste überstanden sei. Der Krieg war vorüber, ihre Krankheit war so ziemlich überwunden, die Ordnung war nach Crough zurückgekehrt und kehrte auch in den Rest von Tassasen zurück.
    Perrund hatte im Hospital ausgeholfen und am Boden einer jener großen offenen Krankenstationen geschlafen, wo die Leute Tag und Nacht weinten und schrien und stöhnten. Sie hatte auf der Straße um Nahrung gebettelt und hatte so manches Angebot ausgeschlagen, aufgrund dessen sie sich dank ihres Geschlechts Nahrung und Behaglichkeit hätte erkaufen können, doch dann hatte ein Eunuch des Palastharems – UrLeyns Harems, nun, da der alte König tot war – das Hospital besucht. Der Arzt, der Perrund einen Platz im Hospital verschafft hatte, hatte einem Freund am Hof erzählt, daß sie eine große Schönheit sei, und – nachdem man sie überredet hatte, sich das Gesicht zu waschen und ein Kleid anzuziehen – hatte der Eunuch sie für geeignet befunden.
    Also führte man sie in die verschwenderische Üppigkeit des Harems ein, und sie wurde zur häufig Erwählten des Protektors. Was der jungen Frau, die sie zuvor gewesen war, wie ein mit persönlichen Einschränkungen bezahlter Luxus, ja sogar wie eine Art gutmöbliertes Gefängnis erschienen wäre, als sie und ihre Familie gemeinsam und friedvoll in ihrem gedeihlichen kleinen Marktflecken gelebt hatten, betrachtete sie jetzt, nach dem Krieg und allem, was dieser mit sich gebracht hatte, als eine segensreiche Zuflucht.
    Dann kam der Tag, als UrLeyn und viele seiner Günstlinge am Hof, darunter einige seiner Konkubinen, von einem berühmten Künstler gemalt werden sollten. Der Künstler hatte einen neuen Gehilfen mitgebracht, der, wie sich herausstellte, einen entschieden schwererwiegenden Auftrag hatte, als einfach nur UrLeyns Ähnlichkeit und die der anderen festzuhalten, und allein der Umstand, daß sich Perrund zwischen sein Messer und UrLeyn geworfen hatte, hatte dem Protektor das Leben gerettet.
    »Sollen wir?« fragte DeWar, als sich die Dame Perrund immer noch nicht vom Gehsteig bewegt hatte.
    Sie sah ihn an, als ob sie vergessen hätte, daß er da war, dann lächelte sie aus der Tiefe ihrer Kapuze heraus. »Ja«, sagte sie. »Laßt uns gehen.«
    Sie hielt seinen Arm fest umklammert, als sie die Straße überquerten.
     
    »Erzählt mir mehr über Felizien.«
    »Worüber? Ach, Felizien. Laß mich nachdenken. Nun ja, in Felizien kann jeder fliegen.«
    »Wie Vögel?« wollte Lattens wissen.
    »Genau wie Vögel«, bestätigte DeWar. »Sie können von Klippen und hohen Gebäuden abspringen – von letzteren gibt es sehr viele in Felizien –, oder sie können einfach auf der Straße losrennen und in die Luft springen und zum Himmel hinaufschweben.«
    »Haben sie Flügel?«
    »Sie haben Flügel, aber es sind unsichtbare Flügel.«
    »Können sie bis zu den Sonnen hinauffliegen?«
    »Nicht allein. Um zu den Sonnen zu fliegen, müssen sie Schiffe benutzen. Schiffe mit unsichtbaren Segeln.«
    »Verbrennen sie denn nicht in der Hitze der Sonnen?«
    »Die Segel nicht, sie sind unsichtbar, und die Hitze geht einfach durch sie hindurch. Doch die Rümpfe aus Holz werden natürlich angesengt und werden schwarz und gehen in Flammen auf, wenn sie den Sonnen zu nahe kommen.«
    »Wie weit ist es bis dorthin?«
    »Ich weiß nicht, aber die Leuten sagen, daß sie unterschiedlich weit entfernt sind, und einige kluge Leute behaupten, daß sie beide wirklich sehr weit weg sind.«
    »Das sind wahrscheinlich dieselben klugen Leute, die man Mathematiker nennt und die uns weismachen wollen, die Welt sei eine Kugel und keine flache Scheibe«, sagte die Dame Perrund.
    »Genau«, bestätigte DeWar.
    Ein Wandertrupp von Schattenspielern war an den Hof gekommen. Sie hatten sich im Palasttheater eingerichtet, dessen Stuckfenster Fensterläden hatten, die gegen das einfallende Licht geschlossen werden konnten. Sie hatten eine weiße Leinwand sehr straff über einen Holzrahmen gespannt, dessen Unterkante gerade eben über Kopfhöhe war. Unter dem Rahmen hing ein schwarzes Tuch. Die weiße Leinwand wurde von hinten durch eine einzige starke Lampe beleuchtet, die ein Stück zurückgesetzt war. Zwei Männer und zwei Frauen spielten mit den zweidimensionalen Marionetten und der begleitenden Schattenkulisse, wobei sie dünne Stöckchen benutzten, um die Gliedmaßen und

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