Inversionen
Gesicht drückte tiefste Konzentration aus. Er focht mit seinem Vater, stoßend und parierend, täuschend und tricksend. Das Holzschwert klapperte und klackte gegen den Dolch in der Scheide. »Gut!« lobte sein Vater. »Sehr gut.«
DeWar beobachtete, wie Kommandant ZeSpiole sich von seinem Sitz erhob und seitlich in Richtung Gang schlurfte. DeWar entschuldigte sich und folgte ihm, bis er ihn im Abort unter dem Theater traf, wo einer der Schattenspieler und ein paar der Wachmänner ebenfalls Gebrauch von der Einrichtung machten.
»Habt Ihr Euren Bericht erhalten, Kommandant?« fragte DeWar.
ZeSpiole blickte überrascht auf. »Bericht, DeWar?«
»Über meinen und die Dame Perrunds Ausflug zum alten Hospital.«
»Warum sollte dies Gegenstand eines Berichtes sein, DeWar?«
»Ich hielt das für möglich, weil einer Eurer Männer uns vom Palast aus dorthin gefolgt ist.«
»Wirklich? Wer war das?«
»Ich kenne seinen Namen nicht. Aber ich habe ihn erkannt. Soll ich das nächste Mal, wenn ich ihn sehe, auf ihn deuten? Falls er nicht auf Euren Befehl hin gehandelt hat, möchtet Ihr ihn vielleicht fragen, was ihm einfällt, Leute zu verfolgen, die überaus ehrenhaften und von offizieller Seite sanktionierten Geschäften nachgehen.«
ZeSpiole zögerte, dann sagte er. »Das wird nicht nötig sein, danke. Ich bin sicher, daß aus einem solchen Bericht, angenommen er wurde tatsächlich erstellt, lediglich hervorgehen würde, daß Ihr und die fragliche Konkubine dem besagten Haus einen vollkommen harmlosen Besuch abgestattet habt und ohne Zwischenfälle zurückgekehrt seid.«
»Auch ich bin überzeugt, daß nichts anderes darin stehen würde.«
DeWar ging zu seinem Platz zurück. Die Schattenspieler verkündeten, daß sie bereit seien, mit der zweiten Hälfte ihrer Darbietung zu beginnen. Lattens mußte zuerst zur Ruhe gebracht werden, bevor das Spiel fortgeführt werden konnte. Als es soweit war, rutschte er eine Zeitlang auf seinem Sitz zwischen seinem Vater und der Dame Perrund hin und her, doch die Dame Perrund strich ihm über den Kopf und machte leise, beschwichtigende Pschpsch-Geräusche, und es dauerte nicht lange, bis die Geschichten der Schattenspieler die Aufmerksamkeit des Jungen wieder gefesselt hatten.
Er bekam etwa nach der Hälfte des zweiten Teils einen Anfall; plötzlich wurde er starr, dann zuckte er krampfhaft. DeWar bemerkte es als erster und beugte sich vor, im Begriff, etwas zu sagen, dann wandte sich die Dame Perrund um; ihr Gesicht war vom Licht hinter der Leinwand erhellt, Schatten tanzten darüber, ihre Stirn war gerunzelt. »Lattens?« sagte sie.
Der Junge gab einen seltsam erstickten Laut von sich und zuckte immer noch; er fiel vom Sitz, zu Füßen seines Vaters, der verwirrt dreinsah und sagte: »Was soll das?«
Die Dame Perrund verließ ihren Platz und ließ sich zu dem Jungen nieder.
DeWar stand auf und wandte sich zum hinteren Teil des Theaters um. »Wachen! Fensterläden öffnen! Sofort!«
Die Läden knirschten, und Licht ergoß sich durch die Sitzreihen. Verdutzte Gesichter starrten in die plötzliche Helligkeit. Die Leute sahen zu den Fenstern und raunten. Die Leinwand der Schattenspielern war weiß geworden, die Schatten verschwanden. Die Männerstimme, die die Hintergrundgeschichte erzählt hatte, verstummte verwirrt.
»Lattens!« sagte UrLeyn, während sich die Dame Perrund daran machte, den Jungen in Sitzstellung aufzurichten. Lattens’ Augen waren geschlossen, sein Gesicht war grau und schimmerte vor Schweiß. »Lattens!« UrLeyn nahm sein Kind in die Arme und hob es hoch.
DeWar blieb stehen, sein Blick schweifte blitzschnell durch das Theater. Inzwischen hatten sich auch andere erhoben. Eine Reihe von besorgt aussehenden Gesichtern tat sich vor ihm auf; alle sahen zum Protektor.
»Doktor!« rief DeWar, als er BreDelle sah. Der wohlbeleibte Arzt stand blinzelnd im Licht.
9. Kapitel
Die Ärztin
Meister, ich hielt es für richtig, in meinem Bericht die Geschehnisse zu erwähnen, die sich im Verborgenen Garten ereigneten, und zwar an dem Tag, an dem Herzog Quettil dem König die neueste Landkarte des Geografen Kuin präsentierte.
Wir waren planmäßig im Sommerpalast von Yvenir in den Yvenage-Bergen angekommen und hatten uns freudig in den Gemächern der Ärztin eingerichtet, in einem runden Turm des Geringeren Hauses. Die Aussicht von unserem Zimmer umfaßte die verstreuten Gebäude und Pavillons, die an den bewaldeten niedrigeren Hängen des
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