Inversionen
Körper der Darsteller zu bewegen. Besondere Effekte wie Wasserfälle und Flammen wurden dadurch erzielt, daß man dünne Streifen dunklen Papiers und einen Blasebalg benutzte, um diese flattern zu lassen. Mit einer Vielfalt unterschiedlicher Stimmen erzählten die Schauspieler alte Geschichten von Königen und Königinnen, Helden und Schurken, von Treue und Verrat und Liebe und Haß.
Jetzt war Pause. DeWar war hinter die Leinwand gegangen, um sich zu vergewissern, daß die beiden Wachen, die er dort postiert hatte, noch wach waren, und sie waren es. Die Schattenspieler hatten anfangs Einwände erhoben, aber er hatte darauf bestanden, daß die Wachen dort blieben. UrLeyn saß in der Mitte des kleinen Zuschauerraums, ein kaum zu verfehlendes Ziel für jemanden, der hinter der Leinwand mit einer Armbrust bewaffnet war. UrLeyn, die Dame Perrund und alle anderen, die von den beiden Wachen hinter der Leinwand gehört hatten, fanden, daß DeWar seine Pflicht wieder einmal viel zu ernst nahm, aber er hätte nicht einfach dasitzen und dem Schauspiel behaglich zusehen können, ohne daß jemand seines Vertrauens hinter der Leinwand gewesen wäre. Er hatte auch Wachen bei den Fensterläden aufgestellt und ihnen Anweisung erteilt, diese sofort zu öffnen, falls die Laterne hinter der Leinwand ausginge.
Nachdem diese Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden waren, war es ihm gelungen, die Darbietung der Schattenspieler – von einem Sitz direkt hinter UrLeyn aus – mit einem gewissen Grad an Gleichmut zu verfolgen, und als Lattens über den Vordersitz geklettert war und sich auf seinen Schoß gesetzt und verlangt hatte, mehr über Felizien zu erfahren, hatte er sich ausreichend entspannt gefühlt, um gern zu gehorchen. Die Dame Perrund, die zur einen Seite von UrLeyn saß, hatte sich umgedreht, um ihre Frage bezüglich der Mathematiker zu stellen. Sie musterte DeWar und Lattens mit einem belustigten, nachsichtigen Gesichtsausdruck.
»Können sie auch unter Wasser fliegen?« fragte Lattens. Er rutschte wackelnd von DeWars Schoß herunter und stellte sich vor ihn, einen eindringlichen Ausdruck im Gesicht. Er war wie ein kleiner Soldat gekleidet, mit einem Holzschwert in einer schmuckvollen Scheide an der Seite.
»Natürlich. Sie sind sehr gut darin, die Luft anzuhalten, und können das tagelang an einem Stück machen.«
»Und können sie durch Berge fliegen?«
»Nur durch Tunnels, aber sie haben jede Menge Tunnels. Natürlich sind einige der Berge hohl. Und andere sind voller Schätze.«
»Gibt es da Zauberer und verzauberte Schwerter?«
»Ja, verzauberte Schwerter wie Sand am Meer, und viele Zauber. Obwohl sie ein klein wenig zur Überheblichkeit neigen.«
»Und gibt es da Riesen und Ungeheuer?«
»Jede Menge von beidem, obwohl es ausnahmslos sehr nette Riesen und äußerst hilfreiche Ungeheuer sind.«
»Wie langweilig«, murmelte die Dame Perrund, wobei sie ihre unversehrte Hand ausstreckte und einige von Lattens’ besonders widerspenstigen Locken niederklopfte.
UrLeyn drehte sich augenzwinkernd in seinem Sitz um. Er nahm einen Schluck aus einem Weinglas, dann sagte er: »Was soll das, DeWar? Füllt Ihr den Kopf meines Jungen mit Unsinn?«
»Wär’s ein Wunder?« sagte BiLeth, der ein paar Sitze entfernt saß. Der hochgewachsene Außenminister sah aus, als ob ihn das Geschehen langweile.
»Ich fürchte, das tue ich, Herr«, räumte DeWar UrLeyn gegenüber ein, ohne von BiLeth Notiz zu nehmen. »Ich erzähle ihm von freundlichen Riesen und angenehmen Ungeheuern, obwohl doch jeder weiß, daß Riesen grausam und ungeheuer angsteinflößend sind.«
»Grotesk«, sagte BiLeth.
»Was ist das?« fragte RuLeuin, der sich ebenfalls umgedreht hatte. UrLeyns Bruder saß neben diesem, zur anderen Seite als die Dame Perrund. Er war einer der wenigen Generäle, die nicht nach Ladenscion geschickt worden waren. »Ungeheuer? Wir haben Ungeheuer auf der Leinwand gesehen, nicht wahr, Lattens?«
»Was würde dir besser gefallen, Lattens?« fragte UrLeyn seinen Sohn. »Gute Riesen und Ungeheuer, oder böse?«
»Böse!« rief Lattens. Er zog sein Holzschwert aus der Scheide. »Damit ich ihnen die Köpfe abschlagen kann.«
»Braver Junge!« lobte sein Vater.
»Gewiß! Gewiß!« pflichtete BiLeth bei.
UrLeyn schob seinen Weinkelch zu RuLeuin und streckte dann die Arme aus, um Lattens hochzuheben und ihn vor sich hinzustellen, woraufhin er so tat, als fechte er gegen das Kind, mit einem in der Scheide steckenden Dolch. Lattens’
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