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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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dann gingen wir zur Tür.
    »Und Schmerz kann auch lustvoll sein«, rief Ralinge uns hinterher. Ich spürte ein Kribbeln auf der Kopfhaut, und der Drang, mich zu übergeben, kam wieder. Die Ärztin reagierte überhaupt nicht.
     
    »Es ist nur eine Erkältung, Herr.«
    »Ha! Nur eine Erkältung. Ich habe Leute gekannt, die an einer Erkältung gestorben sind.«
    »Sicher, Herr, aber bei Euch halte ich das für ausgeschlossen. Wie geht es Eurem Fußknöchel heute? Wir wollen ihn uns einmal ansehen, ja?«
    »Ich glaube, er wird besser! Werdet Ihr den Verband wechseln?«
    »Natürlich. Oelph, würdest du…?«
    Ich nahm das Verbandszeug und ein paar Instrumente aus der Tasche der Ärztin und legte alles auf einem Tuch auf dem großen Bett des Königs aus. Wir befanden uns im Privatgemach des Königs, am Tag nach dem Mord an Nolieti.
    Der Wohnbereich des Königs in Yvenir ist versehen mit einer prächtig gewölbten Kuppel, hoch oben im hinteren Teil des Palastes, auf dem Dach des Hauptteils des großen Gebäudes. Die mit Blattgold überzogene Kuppel ist zurückgesetzt von der terrassenförmigen Kante des Daches und von diesem getrennt durch einen kleinen, kunstvoll angelegten Garten. Da die Höhe des Daches gerade eben über die Wipfel der höchsten Bäume auf dem Hügelkamm dahinter reicht und diese die höchste Linie auf dieser Seite des Tales darstellen, bietet der Blick durch die nach Norden ausgerichteten Fenster, die Licht in die geräumigen und luftigen Gemächer einlassen, nur den Himmel hinter der zurechtgestutzten geometrischen Vollkommenheit des Gartens und der weißen Elfenbeinbalustrade an seinem Rand. Das verleiht den Gemächern eine seltsame, verzauberte Atmosphäre des Losgelöstseins von der realen Welt. Ich möchte behaupten, die klare Gebirgsluft trägt noch zu diesem Eindruck abgeschiedener Reinheit bei, aber es ist etwas ganz Besonderes an diesem Mangel an Aussicht auf die weltliche Unordnung der Landschaft der Menschen, das diesem Ort seinen einzigartigen Geist eingibt.
    »Werde ich für den Ball am nächsten Kleinmond wieder gesund genug sein?« wollte der König von der Ärztin wissen, während er ihr zusah, wie sie den neuen Verband für seinen Knöchel vorbereitete. In Wahrheit sah der alte Verband noch tadellos aus, da der König wegen eines Kitzeln im Hals und Niesanfällen das Bett gehütet hatte, kurz nachdem wir tags zuvor im Verborgenen Garten vom Dahinscheiden Nolietis unterrichtet worden waren.
    »Ich könnte mir gut vorstellen, daß Ihr daran teilnehmen könnt, Herr«, sagte die Ärztin. »Aber versucht bitte, nicht jedermann anzuniesen.«
    »Ich bin der König, Vosill«, erwiderte der König und schneuzte sich in ein neues Taschentuch. »Ich werde anniesen, wen ich will.«
    »Dann werdet Ihr die krankheitstragenden Körpersäfte auf andere übertragen, bei ihnen wird die Krankheit ausbrechen, während Ihr wieder gesund werdet, sie werden vielleicht in der folgenden Zeit in Eurer Gegenwart unabsichtlich niesen und Euch wiederum anstecken; Ihr werdet wieder krank, während die anderen genesen, und so weiter und so fort.«
    »Schulmeistert mich nicht, Doktor. Ich bin dafür nicht in Stimmung.« Der König betrachtete den zusammengesackten Haufen Kissen, der ihn stützen sollte, und öffnete den Mund, um einen Diener zu rufen, doch dann fing er an zu niesen, und seine blonden Locken hüpften, als sein Kopf vor und zurück ruckte. Die Ärztin erhob sich von ihrem Stuhl und zog den König hoch – während dieser immer noch nieste – und ordnete seine Kissen neu. Der König sah sie überrascht an.
    »Ihr seid kräftiger, als Ihr ausseht, nicht wahr, Doktor?«
    »Ja, Herr«, antwortete die Ärztin mit einem bescheidenen Lächeln, während sie sich wieder daran machte, den Verband vom Knöchel des Königs abzuwickeln. »Und dennoch schwächer, als ich sein möchte.« Sie war im gleichen Stil gekleidet wie am Tag zuvor. Ihr langes rotes Haar war besser frisiert als gewöhnlich, gekämmt und geflochten, und es hing ihr über die lange dunkle Jacke beinahe bis zur schlanken Taille hinab. Sie sah mich an, und ich wurde mir meines starrenden Blicks bewußt. Ich sah zu meinen Füßen hinab.
    Unter dem Volant des großen Bettes schaute eine Ecke von einem cremefarbenen Stoff hervor, der irgendwie seltsam vertraut aussah. Ich dachte einen Augenblick lang darüber nach, bis ich mit einem Schub von Neid auf die Rechte der Könige erkannte, daß es sich um ein Stück der Tracht einer der Schäferinnen

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