Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
Vom Netzwerk:
dass ein Mädchen von der Lady Jane im Radio ist! Du klingst noch genauso wie früher, so klug und selbstsicher. Woher nimmst du nur den Mut, so locker vor all den Leuten zu reden?«
    Die massive Charmeattacke machte Kate sprachlos. Vielleicht war es kein echter Charme, aber es wirkte jedenfalls charmant. Charmeersatz, könnte man sagen. Zwar fielen ihr eine Menge Erwiderungen auf Serenas Redeschwall ein, aber keine wäre angemessen. Sie hätte Serena erzählen können, dass mindestens zwei Lady-Jane-Absolventinnen für Radio Four arbeiteten, sie mithin nicht einzigartig war. Sie hätte auch entgegnen können, dass es keinerlei besondere Courage erforderte, ihre Radiosendung zu moderieren, weil der Sender manchmal so wenige Hörer hatte, dass sie ebenso gut das Mikro ausstellen und einfach aus dem Fenster rufen könnte. Oder sie könnte Serena fragen, wie in aller Welt sie auf die abwegige Idee kam, dass sie, Kate, in der Schule klug und selbstsicher gewesen sei. Wie täuschend die Masken sein können, die wir tragen!, dachte Kate.
    Serena hatte Kate irgendwie zu zwei freien Stühlen in der Nähe des Kaffeetisches gelenkt und verhielt sich, als seien sie beide dicke Freundinnen gewesen. Auf einmal erlebte Kate die volle Wucht von Serenas erbarmungsloser Nettigkeit, dieselbe Nettigkeit, für die sie in der Schule zwar berühmt gewesen war, die Kate indes noch nie zuvor gegolten hatte. Sie hatte durchaus etwas Verführerisches. Serenas Hand lag auf Kates Arm, während sie mit einem leicht rauchigen Unterton auf sie einredete, und alles wirkte sehr vertraut. Jeder, der sie beide so sah, würde meinen, dass sie seit Jahren gut befreundet seien. Kate fragte sich, wie es wohl gewesen wäre, wenn Serena ihr diese Nettigkeit schon zu Schulzeiten gegönnt hätte. Wäre dann ihre gesamte Schulzeit anders verlaufen? Wäre sie in Serenas Kreis aufgenommen worden und in deren Sog geraten? Hätte sie Zugang zur ersten Riege der beliebten Mädchen bekommen? Wären ihr all die entsetzlichen Sachen erspart geblieben, die ihr passiert waren?
    Serena neigte sich dichter zu Kate und umklammerte deren Arm fester. In dem Augenblick wurde Kate klar, dass sich das Machtgleichgewicht verlagert hatte. Jetzt wollte Serena ihre Freundin sein, rang um Kates Wohlwollen. Ja, Serenas Hände zitterten, sie war nervös, und sie erbat tatsächlich Kates Anerkennung!
    »Lass uns mal zusammen einen Kaffee trinken gehen«, sagte Serena.
    Kate antwortete mit einer unverbindlichen Geste. Etwas Schlimmeres konnte sie sich kaum vorstellen.
    »Nein, wirklich, das müssen wir«, bekräftigte Serena und umkrallte dabei Kates Arm so fest, dass Kate ihre Fingernägel spürte. »Bitte, bald. Wir müssen uns treffen. Zum Kaffee. Ein bisschen reden. Über die alten Zeiten plaudern.«
    Das alles brachte Serena im Flüsterton hervor, wobei ihre Stimme ängstlicher klang, als ihre Worte vermuten ließen. Besonders die alten Zeiten schienen Serena wichtig, und Kate hatte den Eindruck, es wäre so etwas wie ein Code, den sie nicht verstand.
    »Klar, okay. Wieso nicht?« Ja, wieso nicht? Sie könnte hundert Gründe dagegen aufzählen, traute sich aber nicht, sie auszusprechen.
    »Danke. Ich danke dir.« Nun sah Serena auf, schien über Kates Schulter hinweg jemanden zu entdecken und wurde rot. Hastig stand sie auf und huschte in der entgegengesetzten Richtung davon.
    Kate drehte sich um. In der Ecke des Raumes stand eine große Frau, kerzengerade, steif und regungslos. Sie hielt sich abseits von den anderen und blickte über alle hinweg ins Leere. Kate starrte sie an. Sie wollte den Blick von der Frau abwenden, konnte es jedoch nicht. Natürlich wusste sie, wer die Frau war. Sie hatte es sofort gewusst, als sie sie in der Kirche sah. Der lange, schmale Hals, die selbstsichere, arrogante Haltung, die kantigen Wangenknochen, das dichte dunkle Haar, das heute stufig geschnitten und schulterlang war. Susan Sullivan.
    Susan Sullivan, das unheimlichste Mädchen in Kates Jahrgang auf der Lady Jane Grey. Schnell, stark und bösartig auf dem Lacrosse-Feld; intelligent und scharfzüngig in der Klasse und im Gemeinschaftsraum. Sie war mit Hattie befreundet gewesen, natürlich, denn das waren alle beliebten Mädchen. Serena war ebenfalls Susans Freundin gewesen, wie es überhaupt ratsam war, sich mit Susan Sullivan anzufreunden. Sie hatte Macht, das stand fest. Sie war schlank, stark, blitzgescheit, und daher war es ratsam, möglichst »dicke« mit ihr zu sein. Kate war nie dicke mit

Weitere Kostenlose Bücher