Irgendwann Holt Es Dich Ein
unsensible, schlecht vorbereitete Marketingaktion, weiter nichts. Kate war sich ziemlich sicher, dass sie in mehreren PR-Verteilern unter »Frauenthemen«, vielleicht sogar unter »Mutterschaft« aufgeführt wurde. Jedes Jahr bekam der Programmleiter ein Formular, in dem er eintrug, welche Berichterstatter für welche Themen zuständig waren - Politik, Gesundheit, Bildung und so weiter. Ein kleiner Sender wie Warm FM konnte sich keine spezialisierten Journalisten leisten, also neigte Richard dazu, die Namen eher willkürlich bestimmten Themen zuzuordnen. Und da Kate die einzige Frau mit einer Vormittagssendung war, landete ihr Name bei allem, was auch nur entfernt mit Frauen zu tun hatte. Wahrscheinlich hatte sie deshalb auch diesen Geschenkkorb, die Pressemitteilung und die Glückwunschkarte bekommen. Eine unsensible, taktlose, schlecht recherchierte Aktion, ärgerlich, sonst nichts. Ganz gewiss war der Korb kein willentlich boshafter Versuch, Kate aus dem Gleichgewicht zu bringen oder sie bewusst an ihrem empfindlichen Punkt zu treffen. Das Paket war etwas vollkommen anderes als die Schnapsflaschen, die jemand Hattie geschickt hatte. Ja, natürlich war es das. Mit Hatties Päckchen hatte das hier bestimmt nichts zu tun.
Kate war nie ein mütterlicher Typ gewesen. Als Kind hatte sie nicht mit Puppen gespielt, und sie hatte auch nie darüber nachgedacht, Kinder zu bekommen. Sie war davon ausgegangen, dass sie eines Tages wahrscheinlich welche haben würde, weil es sich eben so gehörte. Man heiratete und bekam Kinder. Doch soweit sie sich erinnern konnte, hatte Kate sich niemals besonders danach gesehnt, Babys zu haben. Und als sie älter wurde, als Teenager und auch später noch, war sie überzeugt gewesen, dass sie überhaupt nicht Mutter werden wollte. So unglücklich, wie sie mit sich selbst war, hielt Kate sich für unfähig, mit einem Kind zurechtzukommen, das womöglich auch unglücklich war. Wie konnten Eltern ihre Kinder in fürchterliche Schulen schicken, obwohl sie wussten, wie entsetzlich es für sie war? Wie konnten Eltern alle Anzeichen ignorieren und nichts tun, während der Schulalltag für ihre Sprösslinge zur Hölle wurde?
Das erste Mal ernsthaft über ein Baby nachgedacht hatte sie erst, nachdem sie Neil und vor allem seiner Familie begegnet war. Sie hatte erlebt, wie unbeschwert Neil, seine Eltern und sein Bruder miteinander umgingen. Es war verblüffend, wie liebevoll sie scherzten und - kaschiert als Knuffen oder Kitzeln - einander berührten. Die Zuneigung, die sie füreinander hegten, war unübersehbar gewesen. Und Kate wurde klar, dass Neil sich gar nicht bewusst darüber war, welches Glück er hatte. Da war sie zu dem Schluss gekommen, dass Neil ein guter Vater wäre. Sie beide würden gute Eltern - zugewandte, verantwortungsvolle Eltern, für die das Wohlergehen ihrer Kinder an oberster Stelle stünde. Sie wären keine egoistischen, trendgläubigen, unaufmerksamen oder übertrieben beschützenden Eltern. Nein, sie würden ihren Kindern das freundliche, stabile, glückliche Umfeld bieten, in dem sie wachsen und gedeihen könnten.
Also hatten sie relativ jung geheiratet, und nachdem sie eine gewisse Anzahl von Jahren in ihre jeweiligen Karrieren investiert hatten, wie es bei Paaren ihrer Generation üblich war, begannen sie mit der Familienplanung. Kate setzte die Pille ab, sie kauften das Haus in Tufnell Park, und beide stürzten sich voller Elan auf die Einrichtung eines häuslichen Paradieses. Kate nahm den Moderationsjob bei Warm FM an, und schon bald, nach ungefähr sechs Monaten, wurde sie schwanger. Zwei Monate später hatte sie eine Fehlgeburt.
Halb so schlimm, sagte sie sich. Sie würden es halt wieder probieren. Und das taten sie. Kate wurde wieder schwanger und erlitt abermals eine Fehlgeburt. Danach wiederholte sich das Ganze.
Nach dem dritten Mal hatte Kate genug. Sie weigerte sich, nochmals schwanger zu werden oder andere Möglichkeiten überhaupt in Erwägung zu ziehen. Es war eine einseitige Entscheidung, die Kate allein traf. Neil hatte ihr bedeutet, dass er es sehr wohl nochmals versuchen oder über Alternativen nachdenken würde - eine Leihmutter vielleicht oder eine Adoption. Allerdings vermutete Kate, dass er diese Optionen nur vorschlug, um sie zu trösten, weil er glaubte, sie wolle unbedingt ein Kind. Doch das sei gar nicht so, hatte sie ihm versichert. Eigentlich habe sie sich nie dringend ein Baby gewünscht. Und so oder so sei es all die Hoffnung, die
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