Irgendwann Holt Es Dich Ein
mit Metallabsätzen trug.«
Unwillkürlich wanderte Neils Blick zu den polierten Stiefeln, mit denen Susan ihre Zigarette ausgetreten hatte. Dann blickte er ihr ins Gesicht und fragte: »Haben Sie eine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Jemand, der neidisch ist, denke ich. Jemand, der nicht gern von erfolgreichen Frauen liest. Meine E-Mail-Adresse ist leicht ausfindig zu machen. Die ganze Geschichte war ein ärgerlicher Unfug, sonst nichts.«
»Für Hattie und Serena muss es mehr als ein ärgerlicher Unfug gewesen sein. Bei ihnen hat jemand auf eine Schwäche abgezielt, unter der sie litten. Ja, man könnte sagen, sie wurden von den anonymen Belästigungen in den Tod getrieben.«
»Dann müssen Hattie und Serena ausgesprochen schwach gewesen sein.«
Die Worte fielen wie Steine in die kalte Luft. Neil war sprachlos, was Susan offenbar nicht entging. »Tut mir leid. Das klingt unverzeihlich barsch, was nicht meine Absicht war. Auf der Lady Jane Grey hat man uns unter anderem beigebracht, Charakterstärke und Belastbarkeit zu beweisen. Man hat uns gelehrt, dass andere uns um unseren Verstand und unsere guten Zukunftsaussichten beneiden würden und wir daher lernen müssten, ein starkes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Ich jedenfalls habe mir von ein paar Kleinigkeiten wie diesen lästigen E-Mails nicht den Tag verderben lassen.«
Neil überlief es eiskalt, und er glaubte nicht, dass es allein dem Umstand geschuldet war, dass er an einem kalten Dezembertag im Park saß. Er wollte weg von dieser Frau, bevor sie ihm alles Leben aussaugte. Eine Frage hatte er allerdings noch. »Haben Sie einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?«
»Denken Sie, es könnte jemand mit einer Verbindung zur Lady Jane Grey sein? Jemand, der etwas gegen die Schule oder gegen erfolgreiche ehemalige Schülerinnen hat?« Susan verengte die Augen und sah ihn an, als wolle sie seine Gedanken lesen.
»Denken Sie das denn?«, konterte er.
Und sie lächelte. »Sie verdächtigen Ihre Frau, nicht wahr?«
Susan zündete sich gelassen noch eine Zigarette an und betrachtete Neil mit einem eindeutig schadenfrohen Glitzern in den Augen. »Deshalb wollen Sie mir nicht verraten, ob Ihre Frau ein Opfer dieser ... dieser bösartigen Person ist. Ich möchte wetten, sie hat Ihnen von unserer Schulzeit erzählt. Und jetzt fragen Sie sich, ob sie für das alles verantwortlich ist.«
Neil fiel keine Erwiderung ein.
Er hatte Kate nichts von seinem Treffen mit Susan Sullivan erzählt. Es war schon schwierig genug gewesen, ihr überhaupt den Namen zu entlocken. Nach dem Besuch ihrer alten Schule und Kates Enthüllungen über die Schikane durch die anderen Schülerinnen hatte Neil Blut geleckt. Er wollte mehr wissen. Vor allem wollte er in Erfahrung bringen, ob noch andere von den Mädchen, die Kate das Leben zur Hölle gemacht hatten, zum Ziel ähnlicher Boshaftigkeiten geworden waren. Susan hatte unterstellt, er verdächtige Kate, doch damit hatte sie Unrecht. Trotzdem hatte sie einen empfindlichen Nerv getroffen. Er verdächtigte jemanden wie Kate. Neil war sich sicher, dass Kate nicht das einzige Mädchen gewesen war, das von den übrigen gemobbt wurde, auch wenn Kate bestritt, dass es noch andere gegeben hatte. Vielleicht wusste sie auch gar nichts davon; vielleicht hatte sie es gar nicht bemerkt. Schließlich hatte sie sich vor lauter Angst die meiste Zeit über versteckt, hatte sich bemüht, einen großen Bogen um alle anderen zu machen, sich in Schränken und auf Dächern verkrochen (und ihm wurde eiskalt, wenn er an seine Frau auf der Kante des Daches dachte). Aber es musste noch ein anderes Mädchen gegeben haben, das von diesen verzogenen Ziegen zum Opfer auserkoren wurde, eines, das jetzt entschieden hatte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ein dickes oder langsames Mädchen möglicherweise oder eines mit rotem Haar; ein Mädchen, das zu früh oder zu spät einen Busen bekam. Solche beiläufigen, alltäglichen Hänseleien hatte auch er in seiner Schule erlebt: jemand, der nicht in allem der Norm entsprach, wurde gedankenlos verspottet; ein Spott, der das Leben des Betroffenen prägen konnte, auch wenn er vordergründig betrachtet nicht schlimm zu sein schien. Neil meinte nicht solche ausdauernden Feldzüge, wie sie gegen Kate geführt wurden, aber etwas, irgendetwas, was ausreichte, um jemanden sehr verbittert zu machen.
Doch warum gerade jetzt? Was war der Auslöser gewesen? Die simple Tatsache, dass
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