Irgendwann Holt Es Dich Ein
waren bei einem dreitägigen Wochenend-›Schnupperseminar‹ in Cambridge und teilten uns ein Zimmer. Sie war total liebenswert, so witzig, unternehmungslustig und interessant, auch ein bisschen abgedreht. Auf jeden Fall schleppte sie mich überallhin mit und wollte mich dabeihaben. Doch ich war ständig in Habachtstellung, weil ich die ganze Zeit dachte, es könnte wieder eine fiese Freundschaftsbombe sein. Und das Absurdeste daran war, dass Serena und Susan, die auch auf dem Seminar waren, sich währenddessen mit einem Mädchen von einer anderen Schule, einer Gesamtschule, anfreundeten und mit ihr die Freundschaftsbombe durchzogen. Das arme Ding!«
Neil bemerkte, wie sie eine Träne wegblinzelte. »Hattie mochte mich wirklich, weißt du. Ich habe ihr nie ganz vertraut, aber möglicherweise war sie meine einzige richtige Freundin.«
»Dann hat Hattie nicht zu den Tyrannen gehört?« Neil dachte an die jüngsten Ereignisse - die Briefe, die kleinen Schnapsflaschen - und überlegte, wer dahinterstecken könnte und welches Motiv derjenige hatte.
»Das würde ich nicht direkt sagen. Sie war schon fest in den Kreis der beliebten Mädchen eingebunden, und es gab auch in der Oberstufe noch ein paar Vorfälle. Sagen wir mal so: Sie hat sich zwar nicht völlig rausgehalten, war aber auch nicht aktiv beteiligt.«
Neil sah, wie dieser schmerzliche Ausdruck über Kates Gesicht huschte. »Arme Hattie! Was für eine schreckliche Art, sich umzubringen! Das ist furcht ...« Sie verstummte mitten im Wort, und Neil sah ihr an, dass ihr plötzlich ein Gedanke kam. »Vielleicht hat sie ja das gemeint! Vielleicht hat sie mit dem ›Furchtbaren‹ gemeint, dass sie mit den Gemeinheiten gegen mich zu tun hatte, ein bisschen nur. Vielleicht hat sie versucht, sich bei mir zu entschuldigen. Verdammt! Vielleicht hat sie sich deshalb umgebracht? Sie hat mich gesehen und sich daran erinnert, was sie alle getan haben?«
Als Neil sie nach Hause fuhr, war Kate vollkommen geschafft. Die Offenheit hatte sie restlos erschöpft, und nun wollte sie sich nur noch unter der Bettdecke zusammenrollen und schlafen. Beim Einbiegen in ihre Straße sagte Neil: »Tja, es ist jedenfalls unschwer zu erkennen, weshalb jemand es auf einen Haufen von Lady-Jane-Grey-Mädchen abgesehen hat.«
Diese Bemerkung riss Kate aus ihrem Dämmerzustand. »Wie meinst du das?«
»Naja, du bist doch bestimmt nicht die einzige Schülerin, die von den anderen so getriezt wurde. Wenn wir noch eine finden, die gemobbt wurde, haben wir unsere Täterin. Du hattest recht mit dem, was du gesagt hast: Die Mobber werden gemobbt. Darum geht es doch wohl bei der ganzen Geschichte, oder? Ums Mobbing. Irgendjemand sucht bei den Frauen, die ihn früher tyrannisiert haben, nach Schwächen und schlachtet sie richtig aus. Die Täter werden zu Opfern.«
»Ja, könnte sein. Nur dass ich damit zur Hauptverdächtigen werde. Niemand sonst wurde in dem Jahrgang so gepeinigt wie ich.« Sie lachte frostig. »Obwohl ich es mir direkt vorstellen könnte. Ich könnte mir durchaus vorstellen, solche Sachen mit ihnen zu machen.«
Kate merkte, wie Neil sich verkrampfte und die Stirn runzelte. Sie wusste genau, was er dachte. »Und um gleich die Frage zu beantworten, die dir wohl durch den Kopf geht: Nein, ich war es nicht.«
Neil schwieg, doch Kate zweifelte nicht daran, dass ihm der Verdacht gekommen war. Vermutlich war jetzt der richtige Zeitpunkt, ihm von dem Geschenkkorb und den merkwürdigen E-Mails zu erzählen, die sie bekommen hatte. Sie musste ihm sagen, dass seine Theorie Blödsinn war, da auch sie Ziel der anonymen Attacken war. Sie wurde auf die gleiche Weise terrorisiert wie Hattie und Serena. »Auch ich werde gejagt.«
»Wie meinst du das?«
»Irgendjemand hat mir komische Sachen in den Sender geschickt.«
»Inwiefern komisch?«
»E-Mails, Gratisproben. Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Ich hätte gar nicht groß darüber nachgedacht, wenn nicht all die anderen Sachen passiert wären.«
»Was für Gratisproben?«
Sie wollte es ihm nicht erzählen. Vor allem wollte sie nicht, dass er wieder emotional wurde. Neil sollte kein Mitleid mit ihr haben. Und erst recht wollte sie nicht das Thema Kinder erneut aufs Tapet bringen. Ja, das war der eigentliche Grund, weshalb sie ihm gar nichts darüber sagen wollte, wie ihr jetzt klar wurde. Na ja, einer der Gründe jedenfalls. Doch es ließ sich nicht länger umgehen.
»Es waren Babysachen. Ich habe einen Geschenkkorb bekommen mit
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