Irgendwann Holt Es Dich Ein
einer Karte, auf der stand: ›Herzlichen Glückwunsch, Sie sind Mutter!‹ Irgendwas in der Art. Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich stelle ich mich bloß blöd an und es hatte gar nichts zu bedeuten. Ich weiß nicht mal, wieso ich es dir überhaupt erzähle.« Indem sie einfach weiterredete, gab sie Neil gar nicht erst die Chance, übertrieben mitfühlend zu reagieren. »Nein, im Ernst, Neil, die Sache hat gar nichts zu sagen. Vergiss einfach, dass ich es dir erzählt habe!«
Die ganze Geschichte klang auch wirklich lächerlich, beinahe paranoid: ein Geschenkkorb mit Gratisproben und ein paar E-Mails aus einem Internetforum. Sie war sich ja selbst nicht sicher, ob es nicht bloß ein dummer Zufall war. Und Neil hörte zu, nickte bloß, und sie konnte ihm ansehen, dass er sie ebenfalls für etwas paranoid hielt.
»Möchtest du, dass ich über Nacht hierbleibe?«, fragte er leise, so leise, als fürchte er sich vor der Antwort.
Kate dachte daran, wie nett er in dem Restaurant gewesen war, wie gut er ihr zugehört hatte. Und ihr ging durch den Kopf, was er über die Ehe gesagt hatte. Außerdem dachte sie an das stille Haus, in dem ihr niemand irgendwelche Fragen stellte. »Nein, danke, lieber nicht. Ich brauche ein bisschen Zeit, über alles nachzudenken. Ich muss mir darüber klar werden, warum das alles passiert.«
Später in der Badewanne fiel ihr etwas Wichtiges wieder ein. Sie erinnerte sich an die Zeitschriftenartikel, die Hattie und Serena zugeschickt bekommen hatten: die Geschichte von Hatties Alkoholproblem und der Artikel über Serenas Heimtextilienversand. Kate und Neil hatten beide vermutet, dass erst diese Artikel den Übeltäter auf die Idee gebracht hatten, die beiden Frauen mit seiner Post zu tyrannisieren. Doch Kate hatte ihre Kinderlosigkeit niemals gegenüber einer Zeitschrift oder Zeitung erwähnt. Diese Person konnte also unmöglich solche Informationen über sie entdeckt haben. Und das konnte eigentlich nur heißen, dass sie kein Opfer war. Ihr wurde keineswegs nachgestellt. Das Ganze hatte nichts mit ihr zu tun.
ACHTZEHN
Neil erkannte die große, schlanke Frau mit dem schulterlangen dunklen Haar gleich wieder, die ihn in Lincoln's Inn Fields grüßte. Er hatte sie bei Hatties Trauerfeier gesehen. Irgendwann war sie nach draußen gekommen, um eine Zigarette zu rauchen, hatte aber für sich gestanden, etwas abseits von den anderen. Sie hatte schnell geraucht, tief inhalierend, fast gierig. Keine Gesellschaftsraucherin, niemand, der beim Rauchen gesehen werden wollte. Jetzt stand sie in einer raschen, entschlossenen Bewegung von der Bank auf, auf der sie gesessen hatte, warf den Kopf in den Nacken und strich sich das schwarze Haar aus dem Gesicht, bevor sie ihm die Hand hinstreckte. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie hier nach draußen bestellt habe«, sagte sie. »Ich weiß, dass es kalt ist, aber ich wollte nicht, dass man sich in meiner Firma fragt, wieso ich mit einem Journalisten rede. Und natürlich kennt man Ihr Gesicht.«
Susan Sullivan war nicht schwer zu finden gewesen. Da sie Anwältin war, waren ihr Name wie auch ihr Werdegang öffentlich einzusehen, sodass Neil sie online binnen zehn Minuten gefunden hatte. Überrascht hatte ihn indes, dass sie sich bereitgefunden hatte, ihn noch am selben Tag zu treffen. Seine Erklärung, er recherchiere für Nach den Schlagzeilen an einem Beitrag über Hattie Fox, hatte sie auch sofort geschluckt. Als Neil sie jetzt betrachtete, kam er zu dem Schluss, dass er besser gar nicht lange um den heißen Brei herum reden sollte. Er setzte sich neben sie auf die Bank. Am besten kam er gleich zur Sache, denn sie wirkte wie eine Frau, die ihn sowieso durchschauen würde.
»Eigentlich suche ich nach einer Verbindung zwischen den Selbstmorden von Harriet Fox und Serena Lacey.«
»Aha«, sagte Susan. Sonst nichts. Nicht die kleinste Bewegung verriet, was sie fühlte oder ob sie von seiner Erklärung überrascht war.
»Ich habe herausgefunden, dass beide ... nun ja ... bedrängt wurden. Ja, das dürfte wohl die richtige Bezeichnung sein. Sie bekamen anonyme Briefe und Päckchen. Und sie waren beide im selben Jahrgang auf der Lady Jane Grey wie Sie meines Wissens auch. Soweit ich weiß, standen Sie den beiden recht nahe, oder?«
Ein kaum merkliches Nicken.
»Deshalb frage ich mich, ob Sie ebenfalls belästigt werden und merkwürdige Briefe oder Pakete erhalten. Irgendetwas Unerklärliches oder Boshaftes?« Während er die
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