Irgendwann Holt Es Dich Ein
darauf, dass mit dem Fötus etwas nicht stimme; was, ließe sich unmöglich sagen, doch irgendetwas mache ihn »nicht lebensfähig«. Mit ihr sei alles in Ordnung, beteuerten sie wieder und wieder. Nichts spräche dagegen, es weiter zu versuchen. Und doch konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass derjenige, der das Universum lenkte, entschieden hatte, dass sie eine grottenschlechte Mutter wäre. Und nach dem dritten Mal ertrug sie nicht einmal mehr den Gedanken, es weiter zu probieren.
Schon wieder neuer Mist, der mir passiert!, hatte sie zu der Zeit gedacht. Als Teenager war sie so stark gewesen, musste es auch sein. Sie war jeden Tag in die Schule gegangen, hatte fleißig gelernt und sich bemüht, nicht aufzufallen. Sie hatte sich auch bemüht, sich nichts aus den Dingen zu machen, die auf sie einprasselten, und hartnäckig an der Überzeugung festgehalten, dass sie ein guter, ein netter Mensch sei und durchaus würdig, auf diese Schule zu gehen. Und sie hatte sich ihre Kraft bewahrt. Sie hatte es hinter sich gebracht, und alles, was sie danach wollte, war ein zufriedenes Leben - genau wie andere Menschen.
Sie hatte Neil kennengelernt, sie verliebten sich und heirateten früher als viele andere in ihrem Alter. Teils taten sie es, weil Kate keinen Grund sah, das Glück nicht zu ergreifen, solange sie konnte. Sie wollte ein normales Leben, ein Familienleben mit Kindern und einem hübschen Haus. Und dann hatte ihr Körper angefangen ihr einzureden, dass sie nichts wert sei und sich nicht zur Mutter eigne. Auch das hatte sie durchgestanden. Doch nun wurde dieser ganze Mist erneut über sie ausgekippt. Das war nicht fair! Jemand wollte sie für etwas bestrafen, was sie nicht getan hatte. Die Quälereien an der Schule und die Fehlgeburten wurden wieder ans Licht gezerrt, und Kate war es gründlich satt. Sie war erschöpft. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben.
Stattdessen saß Neil auf der Bettkante und streichelte ihr das Haar. Gewiss wartete er darauf, dass sie weinte, dabei hatte sie das Weinen bereits hinter sich. Und er stellte ihr Fragen. Wer wusste von den Fehlgeburten? Wer könnte das gemacht haben? Und das Schlimmste war, dass er wissen wollte, wie sie sich fühlte! Natürlich fragte er danach; das wollte er ja immer wissen. Aber Kate wusste selbst nicht, wie sie sich fühlte, wie »erdrückt« vielleicht. Neil wollte, dass sie ihm ihr Herz ausschüttete, und unten warteten Val und Ron und hofften ebenfalls, dass sie sich bei ihnen ausweinen würde. Alle wollten sie mit ihrer Liebe überschütten, doch Kate glaubte nicht, dass sie im Moment damit umgehen konnte, weder mit überbordenden Liebesbekundungen noch mit Umarmungen oder Tränen. Sie brauchte einen klaren Kopf und vor allem Sachlichkeit.
»Ich kann hier nicht bleiben«, sagte sie und sprang unvermittelt aus dem Bett. Neil sah sie erschrocken an. »Ich kann nicht.«
Ihr gesamter Körper schien zu jucken. Das Gästezimmer kam ihr klein und eng vor, zumal die Vorhänge zugezogen waren und Kate anstelle der sich endlos erstreckenden Felder nur die geblümten Rüschenvorhänge sah. Das Zimmer erschien ihr winzig und vollgestopft, obgleich sie es früher stets als so luftig empfunden hatte. Kate zog ihren kleinen Koffer aus dem Schrank und warf ihn aufs Bett. Sie war nervös, als hätte sie zu viel Kaffee getrunken. Ohne darüber nachzudenken, riss sie Schubladen auf, zerrte Kleidung heraus und warf sie in den offenen Koffer. Sie war nicht ganz sicher, was sie tat, sie wusste bloß, dass sie hier wegmusste.
»Hey«, sagte Neil. »Ist schon okay. Wir können morgen früh nach Hause fahren, wenn du willst. Mum und Dad werden es verstehen.«
Panisch schüttelte Kate den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie wollte, doch auf keinen Fall nach Hause. Sie hatte Angst, dorthin zurückzukehren. Sie hatte Angst, wieder zur Arbeit zu gehen. Sie wusste bloß, dass sie so schnell wie möglich abreisen musste - weg von Neil und seinen ewigen Fragen; weg von allen anderen.
Neil gab nicht auf. »Wir können auch verreisen, wenn du willst, uns mal eine Pause gönnen, irgendwo ein Hotelzimmer nehmen. In Devon oder Cornwall vielleicht. Oder wir buchen einen Last-Minute-Flug in den Süden, nach Nordafrika - Ägypten oder Tunesien. Wo immer du hinwillst, Schatz.«
Neil redete wirr drauflos, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Das war Kate klar. Ja, ausnahmsweise wusste Neil einmal nicht, was er tun oder sagen sollte. Sie setzte sich aufs Bett und löste
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