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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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Erschöpfung und Schwere. Ihm war, als könnte er sich nicht mehr rühren. Also ließ er sich aufs Sofa sinken und hob den kleinen Kasten auf, den sein Bruder abgelegt hatte. Eine schäbige Arbeit, bloß zusammengeklebtes Sperrholz, und doch war er auf seine eigene Weise sehr detailgetreu gemacht. Erst jetzt bemerkte Neil, dass sich die Glasaugen der Puppen nicht bewegten. Die Lider waren festgeklebt worden, damit die Augen offen blieben, wenn man die Puppen hinlegte.
    »Hör mal, Neil, wir müssen los«, sagte Andy und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich habe Bev versprochen, dass wir zu ihrer Familie zum Abendessen fahren, und das kann ich schlecht abblasen.«
    »Nein, nein, schon gut. Geht ihr nur. Und grüß sie von mir.«
    »Sag Kate von mir auf Wiedersehen«, erwiderte Andy und ergänzte linkisch, »und sag ihr, dass mir das alles leidtut.«
     
    Neil saß noch auf der Couch, als seine Mutter nach unten kam. »Sie ist jetzt aus dem Bad gekommen. Die Arme sieht völlig fertig aus, aber sie wird schon wieder. Kate ist stark, die schafft das. Aber du solltest nach oben gehen und sie trösten.«
    Stumm nickte Neil zu seiner Mutter empor und dachte an Andy, der zu seinen Schwiegereltern unterwegs war. Neil hatte eine der Babypuppen in der Hand. Er konnte sich weder bewegen noch sprechen. Tränen brannten ihm in den Augen, und er schluckte. Auf einmal war seine Mutter neben ihm, und er sank in ihre Arme, lehnte den Kopf an ihre Schulter und weinte. Er weinte sonst nie, doch jetzt konnte er nichts dagegen tun.
    Neil hatte sich Kinder gewünscht, eine Familie mit Kate. Er hatte sich vorgestellt, wie die Kinder durch ihr schönes Haus rannten, hatte sich ausgemalt, dass sie künftig Weihnachten in ihrem Haus feiern würden, seine Eltern für ein paar Tage kämen, und Kate und er ihnen voller Stolz ihre perfekte, wunderbare Familie vorführten. Um Kates willen war er die ganze Zeit stark geblieben, trotz der drei Fehlgeburten, weil Männern eingeredet wurde, dass sie stark sein mussten, und niemand sie je fragte, wie es ihnen ging. Und jetzt hatte Kate sich nicht mal von ihm in den Arm nehmen lassen. Sie war oben, abgetaucht in ihren ganz persönlichen Kummer, ihre eigene komplizierte Trauer. Eigentlich hätten sie diesen Kummer miteinander teilen müssen, doch Neil war sich nicht sicher, ob sie ihn mit ihm teilen wollte.
    Sein Vater, der sich für eine Weile diskret in den Schuppen zurückgezogen hatte, kam ins Wohnzimmer zurück. Räuspernd machte er sich bemerkbar, und sogleich wischte Neil sich die Tränen aus dem Gesicht. Sein Vater begann aufzuräumen, sammelte den Karton und das Papier auf, in das Kates schreckliches Geschenk eingewickelt gewesen war. Er packte auch die kleinen Holzsärge und die schrecklichen Puppen in den Karton und sagte entschlossen: »Morgen früh wird der Kram verbrannt.«
    »Nein, nicht, Dad. Ich muss die Sachen der Polizei zeigen.«
    »Du willst der Polizei davon erzählen?«, fragte seine Mutter schockiert. Seine Eltern hielten grundsätzlich nichts davon, die Polizei einzuschalten, egal worum es ging. »Denkst du nicht, ihr solltet die Geschichte lieber ignorieren? Das Ganze ist bloß ein geschmackloser Streich, wahrscheinlich von einer neidischen Arbeitskollegin oder einem Arbeitskollegen. Wundern würd's mich jedenfalls nicht.«
    »Nein, es ist leider mehr als das«, entgegnete Neil. »Es ist zu kompliziert, um es euch zu erklären, aber ich brauche die Sachen. Ich muss diese scheußlichen Puppen und die gesamte Verpackung aufbewahren. Sie sind Teil von ... von einer ganz furchtbaren, boshaften Geschichte. Irgendjemand will meine Frau quälen. Und ich werde alles tun, um das zu beenden.«

ZWEIUNDZWANZIG
     
    Wenn man eine frühe Fehlgeburt hat, ist es schwierig, mit der eigenen Trauer umzugehen. Kate war sich nicht mal sicher, ob sie überhaupt davon reden konnte, dass sie ein Baby verloren hatten, wenn es sich doch eigentlich um einen winzigen Zellhaufen handelte, der das Potenzial barg, zu einem Kind zu werden. Zeitweise hatte sie versucht, sich zu sagen, dass es kein Baby gewesen sei. Bei jeder Fehlgeburt redete sie sich ein, sie hätte kein Baby verloren, sondern lediglich die Aussicht auf eines. Aber der Versuch, ihre Trauer zu leugnen, hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Sie war sich unfähig und wertlos vorgekommen, eine Frau, der man nicht zutrauen konnte, ein Baby auszutragen. Die Ärzte erklärten ihr immerfort, eine frühe Fehlgeburt sei ein Hinweis

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