Irgendwann ist Schluss
liegt tief in dir verborgen.« Weiter, dachte ich, sie ist kurz vorm Zusammenbruch, dann werden die Dämme brechen, ich will nicht nur mit der gegenwärtigen Barbara zusammenleben, ich will auch mit der vergangenen Barbate zusammenleben, nur aus der Vermählung von Vergangenheit und Gegenwart kann so etwas wie Zukunft entstehen. Aber Barbara sagte wieder: »Nein.« Und: »Bitte nicht.« Ich wusste nicht, was sie meinte. Dann sagte sie, ich solle gehen, sie wolle allein sein jetzt. Ich dachte zuerst, ich hätte sie falsch verstanden. Sie wiederholte ihre Worte. Ich sprang auf, sagte ihr, sie solle sich anschauen, im Spiegel, nur durch mich, schrie ich plötzlich, sei sie so, wie sie sei, so, wie sie schon einmal gewesen sei, damals, mit siebzehn. Ich stürmte hinaus. Doch als ich die Haustür zuschlug, wusste ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. Schon in diesen Sekunden dachte ich an die Requisiten, die mir zur Verfügung standen, um Barbate zurückzugewinnen. Gleich am nächsten Tag legte ich los. Ich überschüttete sie mit Hedwig-Briefen, jeden Tag zehn Stück, Herzkarten, reuigen Anrufen, Rosen, Rosen, Rosen, ich musste von vorn beginnen, ich hatte alles zerstört, aber ich kann sagen, dass es mir gelang, ich sagte ihr, ich sei labil, manchmal würden mich Attacken überfallen, aus dem Nichts, das alles hätte nichts mit ihr zu tun, ich sei ein anderer unter dieser Schicht, und ich merkte, dass sie mir nur zu gern Glauben schenken wollte. Ich baute alles wieder auf, was ich zertrümmert hatte, türmte Steinchen um Steinchen aufeinander, bis wir uns schließlich und endlich versöhnten, wir waren glücklich, so glücklich, dass wir Pläne schmiedeten für unseren gemeinsamen Urlaub, Cornwall, sagten wir, die Pilcher-Landschaft. Ich wollte mich fortan zurückhalten, wollte aufhören mit den Veränderungsversuchen, wollte mich nicht um ihre Muttermale kümmern, nicht um ihre Hände, nicht um alles, was mich sonst noch störte, aber ich merkte, wie schwer es mir fiel, und es gelang mir leider nur bis zu dem Augenblick, als wir am Schalter standen. Wir checkten ein. Man fragte nach unseren Ausweisen. Ich sah Barbara Müllers Passfoto. Ihren Namen. Ich sah sie an, wie sie jetzt aussah. Dieser Name, dachte ich. Ich kann nicht mit einem Menschen zusammen sein, der Barbara heißt. Sie müsse ihn ändern, sagte ich plötzlich, als wir am Gate standen, sie müsse ihn wieder ändern, Barba te , das sei ihr Name, ihr wirklicher Name, es sei nur eine Kleinigkeit, eine Formalität, nur aufs Amt gehen, zwei Buchstaben, Barba te statt Barba ra , »sobald wir zurück sind, ich werde dich begleiten, jeder kann seinen Namen ändern, das ist kein Problem, schon einmal hast du deinen Namen geändert, von Barbate nach Barbara, nun also einfach wieder rückgängig machen, das ist doch nicht zu viel verlangt.« Sie sagte nichts mehr während des Flugs, sie sagte nichts mehr, als wir ausstiegen und ins Mietauto stiegen und uns auf den Weg in den Süden machten, in unserem Appartement ankamen und miteinander schliefen, sie sagte auch nichts mehr, als sie danach duschte und sich ins Bett legte.
Da war es wieder, ihr Schweigen.
Am nächsten Morgen hatte sie ihre Sachen gepackt. Sie war ganz klar plötzlich. Sie sagte, es sei vorbei. Sie könne nicht mehr. Sie habe es lange genug ausgehalten. Sie sagte, ich liebte nicht sie, ich liebte ein Bild, dem sie nicht entsprechen könne. Ich schrie sie an: Natürlich, wir lieben nie den anderen, wir lieben immer nur das Bild, das wir vom anderen haben, nie den anderen selbst! Sie sagte, das reiche ihr nicht. Sie könne so nicht weitermachen. Sie danke mir für das, was ich für sie getan hätte, im Wald. Aber ihre Schuld habe sie nun mehr als beglichen. Sie lächelte zynisch und fügte hinzu, sie werde jetzt aus meinem Leben verschwinden. Endgültig. Dann verließ sie das Zimmer, ging nach unten, ich raffte meine Sachen zusammen und folgte ihr. Barbara stieg in ein Taxi, ich sprang in unseren Mietwagen und fuhr hinterher. Hielt mich so unauffällig wie möglich. Meine Wut vergrößerte sich mit jedem Kilometer, den wir zurücklegten. Nicht mit mir, schrie ich innerlich, als ich dem Taxi folgte, schon einmal hast du mich stehen lassen, auf dem Schauinsland, so etwas wird sich nicht wiederholen, das lasse ich nicht zu. Sie stieg in einem Hotel ab, ich wartete im Verborgenen, ich hatte Zeit. Am frühen Morgen, als alle noch schliefen, wanderte sie los. Ich ging ihr nach, in gebührendem Abstand,
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