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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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gar nicht mehr über den Stoß nachzudenken schien, sondern inneren Bildern folgte.
    Meine eigene Spielkunst war lausig. Natürlich. Ich stand ganz am Anfang. Wenn es gut lief, gelang es mir manchmal, rot-schwarz-rot zu lochen, spätestens nach drei Kugeln war Schluss, weil ich die Weiße nicht an den richtigen Platz bugsiert hatte und mit einer Safety aussteigen musste, aber von Safety konnte keine Rede sein, meine Safetys waren ein Witz im Vergleich zu den Safetys der Profis. Ich hatte nicht das Tempogefühl für die Weiße, wusste nicht, wie dünn oder dick ich die Rote treffen und wie hart ich stoßen musste, um die Weiße so sicher wie möglich abzulegen, und daher lief meine Weiße oft genug wieder zu weit ins Feld hinein oder blieb auf halbem Weg liegen, willkommene Einstiegsmöglichkeiten für Mike, der mich in den ersten Wochen regelrecht demütigte. Aber ich trainierte hart. Ich wollte aufholen. Ich wollte bei jedem Frame gegen Mike ein paar Punkte mehr machen. Stundenlang spielte ich gegen mich selbst. Übte immer wieder ein- und denselben Ball, um ein Gefühl zu entwickeln. Begann jeden Tag damit, hundertmal die Weiße einfach nur vom Anstoßpunkt zur Fußbande und zurück zu spielen, an die Kopfbande, um das Tempo einschätzen zu lernen. Mike war beeindruckt von meinen Fortschritten. Wir schauten die DVD vom legendären Weltmeisterschaftsendspiel von 1985, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, Dennis Taylor vs. Steve Davis, und es stellte sich heraus, dass jener Taylor der Mann auf dem Foto mit der riesigen Brille war, der im Endspiel beim Stand von 17 zu 17 im letzten Frame erst mit dem Lochen der allerletzten schwarzen Kugel gewonnen hatte. Dieses Match zu sehen, war für mich der Anstoß, mir ein Ziel zu setzen, und ich hatte mir lange kein Ziel mehr gesetzt, und das Ziel war, ein Century Break zu schaffen, irgendwann, das heißt, in einer einzigen Aufnahme die magische Zahl von hundert Punkten hintereinander zu erreichen, also abwechselnd eine Rote und eine Farbige zu lochen, ohne einen Fehler, ohne dass währenddessen der Gegner an den Tisch kommt, so lange lochen, bis man die hundert Punkte erreicht hat, das war mein Ziel, und ich tat alles dafür, um es zu schaffen. Davon war ich allerdings meilenweit entfernt. Er selber, so Mike, habe erst zweimal in seinem Leben ein Century geschafft, und das nur, weil die Bälle auf dem Tisch gelegen hätten wie gemalt.
    Wenn wir nicht spielten, saßen wir jetzt oft beisammen, und Mike erzählte Snookergeschichten. Ich hing an seinen Lippen. Stephen Hendry, The Golden Boy, der ungekrönte All-Times-Champion, siebenfacher Weltmeister, habe seine Titel mit einem Billig-Queue errungen, so Mike, »einem Ding vom Flohmarkt, was weiß ich, woher er das hatte, ein Nieten-Queue, aber Queue und Spieler bilden eine untrennbare Einheit, ein hochsensibles, komplexes System, das darf nicht zerstört werden«, und für Hendry sei eine Welt zusammengebrochen, als er eines Tages aus dem Flugzeug stieg, seinen Koffer abholte und feststellen musste, dass sein Queue zerbrochen war, »es war, als hätte man mir eine Hand abgehackt«, habe Hendry gesagt, und so viele Queues er später auch ausprobierte, nie mehr wurde er der Alte.
    »Haben Sie keine Angst?«, fragte Mike irgendwann. »Wenn man bedenkt, was Sie erwartet. Ich hätte Angst.«
    »Ehrlich gesagt glaube ich nicht an mein Ende. Ich glaube nicht daran, dass Ihr Auftraggeber mich kaltblütig tötet.«
    »Aber das ist der Deal.«
    »Wenn es so weit ist, wird es eine Lösung geben. Ich werde ihn bitten, mich zu verschonen.«
    Mike schwieg.
    »Erzählen Sie von ihm«, sagte ich.
    Mike schwieg.
    »Sie denken, dass er, wenn ich ihn bitte, mich zu verschonen, trotzdem abdrücken wird?«
    Mike schwieg.
    »Und wenn ich anbiete, für ihn zu arbeiten, ein paar Jahre, ohne Gehalt?«
    Mike schwieg.
    »Wie kommt er dazu, so was zu wollen?«
    »Was?«
    »Einen anderen Menschen zu töten?«
    »Spielen wir weiter?«, fragte Mike. Ich stand sofort auf, und wir gingen an den Snookertisch. Die Luft dort drinnen war mit Händen zu greifen, ich zog die Vorhänge beiseite, öffnete die Panzerglasfenster, ließ Luft hinein und sah nach draußen. Das Meer war unruhiger als sonst, ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal aufs Meer geschaut hatte, musste lange her sein, die ganze Zeit hatte ich im Snookerraum trainiert, was für ein Irrsinn, dachte ich plötzlich, auf eine Insel zu gehen, um das Meer, die Sonne, die Wärme, die Ruhe zu

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