Irgendwann passiert alles von allein
warst, da wolltest du unbedingt studieren und Archäologe werden. Jetzt bist du vom Gymnasium geflogen, nimmst Drogen und gerätst auf die schiefe Bahn.‹ Aber ich weiß genau, warum er jetzt so mit mir redet: Er checkt nämlich, dass Druck gar nicht mehr funktioniert. Mit Verboten kann er bei mir gar nichts mehr erreichen. Ich wohne ja nicht mehr bei ihm. Ich sorge jetzt für mich selbst. Deswegen probiert er es auf so eine Psychotour. Er kann mich mal, die Masche zieht bei mir nicht. Die können mich alle mal. Alle. Ich brauch die nicht und die brauchen mich auch nicht.«
Er drehte sich um und ging weiter. Langsamer, aber |81| doch kraftvoll, den Kopf nach vorne gebeugt, als wehe ihm ein Sturm entgegen, obwohl es ja nur ein leichter Sommerwind war.
»Wir haben das Geld, jetzt kann uns keiner mehr was. Ich verballer das nicht einfach. Ich investiere das Geld. Das Geld aus dem Haus ist nur das Startkapital. Ich vermehre das Geld, in drei Jahren, okay, sagen wir in fünf Jahren, sind wir wahrscheinlich schon Millionäre.« Er redete schneller als noch eben. »Für was brauche ich da Schule? Für was brauche ich ein Abitur? Hm? Klar, studieren wäre nicht schlecht. Aber ich kann auch selbst Bücher lesen, dafür brauche ich doch kein Gymnasium. Schau, ich lese zum Beispiel gerade Erich von Däniken. Ich lese darin jeden Tag. Das ist echt interessant. Hast du gewusst, dass die Pyramiden in Südamerika und die in Ägypten sich wahnsinnig ähneln? Menschen können so was gar nicht gebaut haben. Von Däniken glaubt, und das ist echt krass, das musst du dir jetzt mal vorstellen, er sagt: Es waren Außerirdische. Lernst du so was in der Schule?«
Ich hatte eine Regina mit Pilzen bestellt und Leo wieder seine Calzone. Franz knallte uns die dampfenden, flachen Kartons auf die Theke und brummte: »Neun Mark.«
Leo zog einen zerknüllten Hunderter aus seiner Hosentasche und warf ihn auf die Kartons. Franz nahm das Geld und ließ den Schein in seiner dicken, schwarzen Geldbörse verschwinden. Als er Leo das Wechselgeld gab, glaubte ich, zwei kurze missmutige Blicke zu |82| sehen, die er jedem von uns zuwarf. Er sagte kein Wort.
Wir setzten uns auf die noch warmen Steinstufen vor Franz’ Pizzeria und stopften im Halbdunkel Pizzateile in uns hinein. Langsam ging mir Pizza auf die Nerven. Sie schmeckte immer noch gut, aber sie war nichts Besonderes mehr. Es war ein fettiger Klumpen mit Oregano. Nichts weiter.
»Meimft du«, fragte ich Leo mit vollem Mund. »Meimft du, Fanf hat«, ich zwang einen Riesenkäsebatzen meine Speiseröhre runter, sodass es wehtat. »Meinst du, Franz hat was gemerkt?«
»Der Fettsack? Blödsinn, der freut sich doch, wenn er Geld kriegt. Kann ihm doch egal sein, woher es kommt.« Leo tropfte Tomatensoße aus dem Mundwinkel. Er wischte sie mit seinem Handrücken ab und schleckte es auf.
»Wie oft warst du hier in den letzten Tagen?«
»Wie oft? Keine Ahnung, vielleicht jeden zweiten Tag, vielleicht auch jeden Tag.«
»Jeden Tag? Du hast jeden Tag eine Pizza Calzone bestellt? Hast du sie immer mit einem Hunderter bezahlt?« All die Monate davor hatten wir mühsam unser Kleingeld zusammengespart, um uns einmal die Woche eine Pizza leisten zu können.
»Nicht immer. Aber wenn ich halt kein Kleingeld habe, bezahl ich mit einem Hunderter. Ist doch egal. Reg dich ab, du hast Paranoia. Mach dich locker, nicht alles dreht sich um uns.«
»Was ist, wenn sie uns erwischen?«
|83| »Jugendstrafrecht. Ist halb so wild. Wahrscheinlich kriegst du Sozialstunden aufgebrummt und musst im Behindertenheim Ärsche wischen. Musst ich schon mal machen, ist echt halb so wild.«
In der Dunkelheit gingen wir zurück zur Halfpipe. Ab und zu knirschten Kieselsteine unter den Sohlen unserer Schuhe. In der Ferne sahen wir die Lichter einer vorbeirauschenden S-Bahn und dann, als wir fast schon bei den Betonblöcken angekommen waren, die noch warm von der Sonne waren, sahen wir etwas glimmen. Es war nur ein kleiner Punkt, der periodisch heller wurde, dann wieder beinahe erlosch, um kurz darauf wieder aufzuleuchten. Die Glut wanderte ein Stück, leuchtete wieder auf und dimmte wieder ab.
Sam saß mit Schenz im Schneidersitz auf dem Boden. Als wir sie erkannten, zog Schenz gerade am Joint. Leo war als Erster bei ihnen.
»Sam!« Schwungvoll wollte er seine Hand in Sams fallen lassen, doch der hielt ihm nur eine lasche Fleischtatze hin und blickte ihn von unten herauf an.
»Schenz! Ist was?«
In dem Moment donnerte
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