Irgendwas geht immer (German Edition)
zusammen aus, indem sie einen Streichelzoo in ihrem Garten auf die Beine stellte, bei dem die Kinder einen Koala auf den Arm nehmen, eine Boa anfassen und eine Runde auf einem Esel reiten durften. Außerdem bekamen die Kinder eine Urkunde überreicht, die sie als Paten für namentlich genannte Orang-Utan-Babys auszeichnete. Jedes einzelne Kind bekam so ein Ding in die Hand gedrückt. Scheiße. Das war der Moment, als ich endgültig das Kindergeburtstagshandtuch warf. Okay, Nells Mum, du hast gewonnen.
Aber jetzt muss ich dringend diese unerfreulichen Gedanken verscheuchen und an meinem Buch weiterarbeiten. Mittlerweile habe ich mich für den Titel Teenager: Ein Handbuch entschieden. Um gut schreiben zu können, muss ich mir ständig vor Augen halten, dass ich eine hervorragende Therapeutin bin. Ich weiß es. Tief in mir drin. Die Leute empfehlen mich weiter. Sie kommen immer wieder. Einige meiner Patienten behandle ich bereits in der zweiten Generation, also muss ich wohl irgendetwas richtig machen. Sogar ziemlich viel. Man wird schließlich nicht neunundvierzig Jahre alt, ohne irgendwann mitzubekommen, ob man Erfolg hat oder nicht. Einer der Vorteile an meinem Job ist, dass man im Lauf der Zeit eine »Nase« für Probleme bekommt. Häufig »rieche« ich die Ursache für etwas bereits innerhalb weniger Minuten.
Natürlich kommt es vor, dass ich eines Besseren belehrt werde, aber ehrlich gesagt nicht sehr oft. Das mag mit meiner felsenfesten Überzeugung zusammenhängen, dass nahezu jedes Problem im Kindes- oder Teenageralter auf die Eltern zurückgeführt werden kann. Das wollen die Eltern natürlich nicht hören, deshalb ist die Hürde, die Eltern zu beschwichtigen, stets die erste, die ich nehmen muss. Ich muss sie überzeugen, dass es ein sehr, sehr mutiger Schritt von ihnen war, sich überhaupt an mich zu wenden, und dass das Ganze nicht ihre Schuld ist. Normalerweise erkläre ich ihnen dann in der zehnten Sitzung, dass es leider doch ihre Schuld ist, aber natürlich nicht mit diesen klaren Worten. In meinem Therapieraum ist kein Platz für Schuldzuweisungen. Niemals.
Heute schreibe ich das Kapitel mit dem Titel »Zeit und die innere Teenager-Uhr«. Ich hoffe, hier einige höchst komplexe neurologische Zusammenhänge laiengerecht darlegen zu können. Ich habe eine Menge über Teenager-Gehirne recherchiert und finde dieses Thema höchst faszinierend, da sich das Teenager-Gehirn in nahezu jeder Hinsicht von dem eines Erwachsenen unterscheidet. Es hat nicht nur seinen endgültigen Entwicklungsstand noch nicht erreicht, sondern verfügt auch über Funktionen, die allein ihm vorbehalten sind. So gibt es beispielsweise das »Teen-Lag«, das sich dadurch auszeichnet, dass die durch die Melatoninausschüttung bedingten Hochphasen etwa zwei Stunden später einsetzen als bei Erwachsenen. Folglich besitzen Teenager ein ganz eigenes Zeitgefüge, was eine Erklärung für ihre allmorgendliche Übellaunigkeit und den Wunsch ist, abends möglichst lange aufzubleiben. Aber wenn ich an meine Erfahrungen mit meinen eigenen Kindern denke, muss ich sagen, dass ihr Zeitgefüge nicht nur um zwei Stunden, sondern um ganze Welten verschoben ist.
Dora sitzt regelmäßig bis zwei Uhr früh vor ihrem Facebook-Account. Wenn ich nachts aufwache, weiß ich sofort, dass sie noch davorsitzt. Als ich in ihrem Alter war, gab es diesen Luxus natürlich nicht, aber ich bin mir sicher, ich hätte einen eigenen Computer mit all seinen Möglichkeiten ähnlich faszinierend gefunden. Ich bin heilfroh, dass es so etwas zu meiner Zeit noch nicht gab. Je länger ich darüber nachdenke, wie viel Zeit sie davor verbringt, umso klarer wird mir, dass der wahre Grund für meine Verärgerung über diese Teufelskisten blanker Neid ist. Es ist, als wäre ich ausgeschlossen. Aus ihrem Leben. Und das ist schrecklich. Dabei will ich gar nicht ihre Freundin sein. Genau diesen Rat erteile ich auch den Eltern meiner Patienten. Eltern, die um jeden Preis von ihren Kinder gemocht werden wollen, sind automatisch auf der Verliererstraße. Und trotzdem … ich ertappe mich dabei, dass ich mir eine engere Bindung zu meinen Kindern wünsche. Eine Beziehung, in der wir miteinander reden und, was am allerwichtigsten ist, einander zuhören.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich sehr gut hören kann. Schließlich habe ich alles, was von Dora kommt, bereits x-mal aus den Mündern meiner jungen Patienten gehört. Das bedeutet, ich bin ihr grundsätzlich zehn Schritte
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