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Irgendwas geht immer (German Edition)

Irgendwas geht immer (German Edition)

Titel: Irgendwas geht immer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn French
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irgendeiner Art zur Lösung des Problems beitragen könne. Dies schien eine Gräueltat unaussprechlichen Ausmaßes zu sein, und ich wurde eiligst mit der Drohung aus dem Raume verbannt, man werde den Vorfall später am Abendbrottisch mit mir besprechen. Wie ermüdend.
    Deshalb bleibt mir, wenn ich einen Blick auf meinen Heißgeliebten erhaschen und ihm Gelegenheit geben will, seine wunderschönen Augen auf mich zu richten, nichts anderes übrig, als wie aus dem Nichts neben ihm aufzutauchen, rein zufällig. Das Ganze muss völlig zwanglos ablaufen. Denn nichts schreckt einen potentiellen Geliebten so sehr ab wie der Geruch der Verzweiflung, der den Suchenden wie eine Wolke übelsten Gestanks umgibt. Um herauszufinden, wann mit seinem Erscheinen zu rechnen war, musste ich mich strategisch günstig am Empfangstresen bei Lisa positionieren. Also ersann ich eine scheinbar endlose Reihe an sinnlosen Fragen, mit der ich sie abzulenken versuchte.
    »Arbeiten Sie gern hier?«
    Oder: »Wann haben Sie heute Morgen angefangen?«
    Oder: »Was für ein reizender Haarschnitt, den Sie da haben. Und so praktisch.«
    Doch bereits nach wenigen Versuchen war nichts mehr aus ihr herauszubekommen, so dass ich gezwungen war, ihr mit einer sinnvolleren Frage eine etwas ausführlichere Erläuterung zu entlocken, was mir gestattete, ein wenig länger in ihrer Nähe zu verharren.
    Meine eher zufällig angelegte Frage nach ihrer Leidenschaft für die Künste des Survivaltrainings entpuppte sich als Treffer ins Schwarze. Natürlich hatte ihre Kleidung bereits Hinweise darauf gegeben, doch war ich viel zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, um es zu bemerken. Nach zwei Stunden, in denen sie mir in quälenden Details die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Hängematten, die eindrucksvolle Bandbreite giftiger Pflanzen und die Vorzüge eines im Erdofen im Maori-Stil zubereiteten Hasen dargelegt hatte, war ich am Ende meiner Kräfte. Noch immer weit und breit keine Spur von meinem lieben Noel, also schwenkte ich die metaphorische weiße Flagge und zog mich in mein Hinterzimmer zurück.
    Der Tätigkeit des Ablegens widmete ich mich mit wenig bis nicht vorhandenem Interesse, fand jedoch einen Funken Trost in der Lektüre der Akten selbst, die sich als höchst erquicklich entpuppte. Mama besitzt einen durchaus angenehmen Schreibstil. Erwartungsgemäß sind die Notizen in Stichwortform gehalten und weisen eine dementsprechende Präzision auf, dennoch blitzt ihr lebhafter und engagierter Stil aus den ansehnlich verpackten Formulierungen hervor. Aus den vielfältigen »Verhaltensmustern«, die sich tagtäglich präsentieren, kann ich nur den Rückschluss ziehen, dass sie die Geduld einer Heiligen besitzt. Diese Menschen, die um ihre Hilfe ersuchen, sind in der Tat jenseits von Gut und Böse. Was um alles in der Welt denken sich diese jungen Leute dabei, wenn sie unverblümt zum Ausdruck bringen, dass sie sich »so tot fühlen« oder »Dad hassen« oder sich »am liebsten jeden Tag die Haut ritzen« wollen? Herrgott noch mal, ihr törichten Wichte, unternehmt einen strammen Spaziergang an der frischen Luft und reißt euch zusammen! Hört auf, meine Mutter in Depressionen zu stürzen und ihre Zeit mit eurem fruchtlosen Gejammer zu vergeuden, ihr Riesenbabys. Wäre ich euer Therapeut, würde ich aufstehen, vor euch treten und euch eine anständige Ohrfeige verpassen. Und zwar mit voller Wucht. Was seid ihr nur für eine Horde erbärmlicher Waschlappen! Euch eine Krankheit auszusuchen, die zumindest ein Minimum an Originalität besitzt, wäre wohl das mindeste, das man von euch erwarten kann. Was für erschreckend schlechte Manieren – die eigene Therapeutin zu Tode zu langweilen.
    Die Lektüre der Patientenakten beschäftigte mich eine gute Stunde, bis Lisa von draußen rief: »Okay, das war’s. Zeit, die Schotten dicht zu machen. Letzte Runde, bitte. Alle Mann zu den Ausgängen. Verbindlichsten Dank und gute Nacht!«
    Welch ein Graus! Der Tag war vorüber, und nicht eine einzige Sekunde lang hatte sich mir die Gelegenheit geboten, mit meinem Herzblatt ein paar Worte zu wechseln – wie entsetzlich! Mama kam aus ihrem Zimmer und bot mir an, mich nach Hause mitzunehmen. Anfänglich war ich noch etwas zögerlich. Vielleicht böte sich mir ja jetzt, im allerletzten Moment, die Chance, einen Blick auf ihn zu werfen? Mich an seinem liebreizenden wunderschönen Gesicht zu ergötzen? Vielleicht zeigte er sich nun, am Ende des

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