Irgendwo dazwischen (komplett)
du verstehst mich, aber du weißt nicht, wie es ist, an ein Haus
und zwei kreischende Kinder gefesselt zu sein. Ich bin deinetwegen und unseretwegen
nach Finnland gezogen. Aber inzwischen denke ich, dass das vielleicht ein
Fehler war. Du bist fast nie da. Ich bin umgeben von Fremden oder von Kindern.
Ich vermisse meine Freunde, ich vermisse meine Familie, ich vermisse meine
Sprache, ich vermisse München... ich werde für ein paar Wochen nach Hause
fahren. In das Zuhause, das ich seit Jahren vermisse. In die Stadt und zu den
Menschen, die ich im Herzen trage. Ich finde es nur fair, dass ich Vincent und
Luis bei dir lasse. So kommst du auch einmal in den Genuss, deine Söhne rund um
die Uhr um dich zu haben. Ich habe es mir verdient, einmal für mich zu sein,
soweit das eben geht, denn meinen Bauch kann ich dir leider nicht dalassen. Und
wer weiß? Vielleicht hilft dir ja Hana dann und wann. Ich tue es nicht mehr.
Ich habe nicht studiert, um zur Dauerbrutmaschine zu werden. Ich hatte Träume.
Ich hatte Freunde. Und jetzt habe ich ein Haus mit Garten und netten Nachbarn.
Ich habe eine Schwiegermutter, die nur dann nett zu mir ist, wenn du in der
Nähe bist. Aber das bist du fast nie. Und auch wenn du das nicht verstehst und
du findest, dass ich übertrieben reagiere, frage ich mich, wann du vergessen
hast, was Loyalität ist und was Loyalität in einer Beziehung bedeutet. Du bist
nicht loyal – zumindest nicht mir gegenüber. Was ich denke und was ich will,
sollte wichtig sein, Joakim. Aber das ist es nicht. Und deswegen ist es an der
Zeit, dass ich mich um mich kümmere, weil es sonst keiner tut. Ich bin für mich
und meine Zufriedenheit verantwortlich. Das kann ich nicht länger von dir
abhängig machen.
Ich
liebe dich, aber das reicht nicht, um hier zu bleiben. Ich liebe dich, aber
diese Liebe hält mich von allem anderen fern, das ich außer dir noch liebe. Ich
habe mir mein Leben anders vorgestellt. Und ich habe nicht gedacht, dass ich
mich mit noch nicht einmal achtundzwanzig Jahren alt fühlen würde. Ich hätte
nicht gedacht, dass ich das Foto von uns vor dem alten VW-Bus einmal voller
Verachtung ansehen würde, weil es mir zuflüstert, dass alles, was mir einmal
wichtig war, vorbei ist. Ich habe damals nicht verstanden, wie frei ich war.
Und nun, neun Jahre später bin ich gefangen in einem Leben, das ich nicht
wollte.
Ich
werde vorerst zu meiner Mutter fahren. Sie hätte mich schon vor zwei Jahren
gebraucht, aber ich hatte keine Zeit. Nun nehme ich mir Zeit. Zeit für sie,
Zeit für Lili, Zeit für mich. Ich wünsche dir eine gute Zeit mit deinen beiden
Söhnen. Es ist sicher eine völlig neue Erfahrung für dich, sie so viel zu
sehen. Vielleicht verstehst du dann endlich, warum ich abends so fertig bin.
Vielleicht höre ich dann in Zukunft nicht mehr, dass sie doch eigentlich ganz lieb und ruhig sind.
Sie
wissen, dass ich fahre und dass sie die Zeit mit dir verbringen werden. Ich
denke, sie freuen sich darauf. Du wirst viele Seiten an ihnen kennenlernen, die
dir bis jetzt fremd sind. Die ein bis zwei Stunden, die du sie sonst siehst,
sind nur ein klitzekleiner Hauch von dem, was sie sind. Im Guten und im
Schlechten. Vielleicht fällt dir dann auf, wie wunderbar eine Unterhaltung mit einer
erwachsenen Person sein kann. Für dich ist das selbstverständlich. Für mich ist
es eine Seltenheit. Ich rede nur über Bauklötze und streite mich mit zwei
Kleinkindern. Du solltest dich fragen, warum du auf keinem ihrer Bilder zu
sehen bist. Da bin immer nur ich – die dicke Frau – und zwei kleine Jungen.
Aber du bist nie da. Und das sollte dir zu denken geben.
Ich
weiß, dass du dir Urlaub nehmen kannst, denn du hast dir ja noch nie welchen
genommen. Es wäre ja auch einfach zu stressig gewesen mit den Kindern, nicht
wahr? All die Zeit über hast du deinen Weg weiter verfolgt. Und nun erkenne
ich, dass ich meinen vor langer Zeit verlassen habe. Ich bin falsch abgebogen.
Ich bin in einem Land, in dem ich mich nie wirklich zuhause gefühlt habe. Ich
bin gefangen in meinem eigenen Leben. Und wenn ich dann auch noch höre, dass
Hana eine Freundin ist, dann kann ich dazu nur sagen, dass sie das für mich
nicht ist. Sie war es nie, sie ist es nicht, und sie wird es nie sein.
Ich
weiß, dass ich in dir einen wunderbaren Menschen gefunden habe. Ich weiß, dass
ich in dir einen tollen Mann und Vater gefunden habe. Aber ich habe mich
verloren. Und nun werde ich versuchen, mich zu finden. Und das geht nicht hier.
Das
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